Beitrag 
Ein Blick auf die bevorstehende Campagne.
Seite
305
Einzelbild herunterladen
 

805

diese Frage bereits längst im Kriegsconseil zu Wien entschieden wurde und die darüber gefaßte Ansicht in umfassender Weise auf die bis dahin getroffenen Dispositionen deS k. k. Feldzeugmeisters von Heß eingewirkt hat, kann mich, .der ich hier keinen andern Zweck habe, als den Lefern die Lage klar zumachen, und ihnen eine Durchsicht auf die etwaigen kommenden Operationen zu eröffnen, nicht davon entbinden, sie in nähere Erörterung zu ziehen.

Ein Gegenangriff oder Rückschlag unterliegt an sich keinen andern Rück­sichten oder Bedingungen, wie der primitive Angriff selbst. Wie dieser hat er ein Object im Auge, ein Ziel, dem er zustrebt und auf welches er gleich­zeitig mit der größtmöglichen Kraft, also entscheidend und in der möglichst kür­zesten Zeit zu treffen bemüht ist. Diese beiden Bestrebungen werden die Richtung entscheiden, welche der Rückschlag sich aussucht. Sie wird in der Regel der nächste Weg zum Object sein, derjenige, welcher die herangeführte Kraft am wenigsten zu zersplittern droht und auf welchem die Verpflegung erleichtert ist.

Auf den hier . vorliegenden concreten Fall angewendet ergeben diese Principien folgende Grundzüge des russischen Gegenangriffs. Derselbe wird, wenn er entscheidend treffen will, nothwendig Wien zum Object nehmen müssen. Um seine Massen heranzuführen wird er entschieden die Linie nord­wärts der PinSker und Nokitnosümpfe denen südlich derselben vorziehen, weil jene Straßen um vieles prakticabler wie letztere sind; es sei denn, daß es aus eine Operation mit der Gesammtmacht abgesehen wäre, in welchem Fall Bresz Litewski der Vereinigungspunkt für die verschiedenen Heersäulen sein würde. Um auf die östreichische Hauptstadt zu fallen, haben dieselben aber auch von daher keine bessere, an Bewegungsmitteln ausgiebigere Marschrichtung vor sich, wie die durch Polen. Zugleich setzt sie dieser Weg der Zersplitterung durch Detachirungen am mindesten aus und zwar deshalb, weil die polnischen Festungen, zumal die großen Weichselplätze und BreSz LitewSki selbst in aus­reichendster Weise die Sicherung der Operationslinie gewähren, welche andern Falls nur durch rückgelassene Heerestheile erreicht werden möchte. Mit andern Worten: Denkt man sich Nußland in dem Fall mit 200,000 Mann (nachdem der Angriff seines Gegners scheiterte), einen Rückschlag auf Wien zu unter­nehmen, so würde ein Marsch von Kiew über Tarnopol durch Galizien und Ungarn aus der Mitte des Wegs oder auf »kehren Punkten die Abzweigung bedeutender Massen erheischen, die nicht nothwendig wird, wenn man den Weg durch Polen einschlägt, weil man hier an der Weichsel und andrerseits über befestigte Stützpunkte zu verfügen hat.

Wenn daher schon in der ersten Hälfte dieses Aufsatzes entwickelt wurde, daß die eigentliche Angriffsrichtung gegen Rußland oder diejenige^ in welcher bei einem europäischen Kampfe gegen das Zarthum die Hauptmassen bewegt werden müßten, die nach Polen und von da aus nordwärts der Sumpfregion

Grenzboten. II. ->Lü6. 39