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Correspondenzen.
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preußischen und russischen, beschlossen war, wurde augenblicklich Gegenstand kri­tischer Erwägung auch in der andern. Wenn wir in Preußen das Drückende des russischen Einflusses und dieser nachbarlichen Vertraulichkeit oft'unangenehm empfanden, so muß man nicht vergessen, daß in Rußland, wenngleich in ganz andrer Weise, dasselbe stattfand und daß dort die altrussische Partei fast ebensosehr von preußi­schem Einfluß sprach, als bei uns die liberale von russischem. Freilich nicht mit gleicher Berechtigung. Es ist vielleicht in der Geschichte noch nicht dagewesen, daß zwei Staaten von so verschiedenem Leben durch iO Jahre in so fester Verbindung geblieben sind, welche, so nachtheilig sie ihrem Wesen nach für den kleinern Staat war, doch in ihrer Erscheinung einen durchaus freundschaftlichen, ja brüderlichen Charakter hatte.

Dieser Zauber ist jetzt gebrochen. Es ist sicher, daß die Traditionen dieser Freundschaft noch eine Weile vorhalten werden; es ist sicher, daß die letzten Worte des Kaisers, vielleicht die Meisterthat seines Lebens, noch eine Weile in Verhängnis voller Zeit bestimmend auf die Entschlüsse des Berliner Cabinets wirken werden. Aber doch ist der Zauber gebrochen. Es erhebt sich in Preußen über den Sym­pathien der regierenden Kreise unmerklich, aber "mit unwiderstehlicher Gewalt, eine andere Macht, die der praktischen Interessen. Das Abspcrruugssystcm des verstor­benen Kaisers, die furchtbare Härte, mit welcher dasselbe gehandhabt wurde, und die fast verächtliche Rücksichtslosigkeit, mit welcher die Interessen der preußischen Production behandelt wurden, hat mehr als die sonstigen Schroffheiten des russi­schen Regiments und mehr als der nationale, zwischen den Deutschen und Slawen stets von neuem aufsteigende Widerwille, dazu beigetragen,'in den östlichen Provinzen des Staats die Antipathien gegen Rußland zu nähren. Schlesien, Posen, Preußeu, selbst Handel und Industrie der Mark und Pommerns kranken durch die Feindselig­keit des russischen Handelssystems und es ist eine Nichtswürdigkeit, wenn eine ver­schrobene Parteimeinung dieses Leiden Preußens zu beschönigen oder gar abzuleugnen wagt. Noch ist die Entwicklung der industriellen Kraft im östlichen Preußen nicht ° soweit gediehen, daß ihr Ruf bestimmend auf die Regierung wirkt, aber trotz aller Hindernisse entwickelt die' nüchterne Energie unsrer Provinzen diese Kraft von Jahr zu Jahr mehr. Und unter welchen Verhältnissen die Veränderung des jetzigen Systems auch erfolge, jeder Preuße, welcher mit männlicher Selbstständigkeit die Interessen seines eignen Lebens versteht, fühlt die Nothwendigkeit und hat die Ueber­zeugung, daß diese Veränderung kommen muß.

Zum Schluß mache ich Sie noch darauf aufmerksam, daß die russische Re­gierung jetzt großes Gewicht auf die öffentliche Meinung, besonders in Deutschland, zu legen beginnt. Deshalb die beabsichtigte Gründung des Journal du Nord, ferner die beabsichtigte Einrichtung eines Office Correspondance des Etats allemands, einer lithographirten Korrespondenz, welche vorläufig nur gute deutsche Uebersctzungen aus den größeren Pariser Zeitungen, nebenbei und später aber auch Originalartikel enthalten soll. Nicht lange nach dieser Offerte ist von der Evrporativn der ver­einigten Buchdrucker in Paris ein abmahnendes Circnlar an die Buchdrucker in Deutschland erlassen worden, in welchem erwähnt ist, daß jene Office Correspon­dance ein Verein gesinnungsloser Litcraten sei, welche mit russischem Gelde bezahlt werden und im russischen Interesse arbeiten.