299
„konservativen" Gewalten über die vorwärtsftrebenden Elemente praktisch zur Geltung zu bringen wußten, ist unsre Jugend in Gefahr, nicht mehr zu der Geistesentwicklung zu gelangen, welche befähigt, in den Mannesjahren den eignen Erwerb sich zu sichern, eine tüchtige, selbstständige Kraft zu gewinnen, um für das Gemeinwohl mit Umsicht wirksam zu werden. Die Behandlung der religiösen Angelegenheiten unsrer Nation ist jetzt grade eine sowenig gleich- giltige Sache, daß sie vielmehr die größte Beachtung aller verdient, denen die Gelegenheit geboten wird, auf die Beschlüsse einzuwirken, welche das Maß religiöser Freiheit für die Staatsangehörigen feststellen. Wie sehr es aber jetzt an der Zeit sei, keine durch sittliche Motive geleiteten Anstrengungen zu scheuen, der religiösen Reaction in Deutschland nach Möglichkeit Einhalt zu thun, dafür beabsichtigen wir durch die in der nachstehenden Darstellung no- tirten Thatsachen einige Belege zu liefern, die hoffentlich vielerlei Scrupel der Zaghaften und Lauen im Lande beseitigen werden.
Das nach schweren Kämpfen erstrittene Associationsrecht, welches man erst zu beweisen, so klar es auch in die Augen springt, sich die Mühe geben mußte, dieses Recht wußte vor allen der bei Eintritt der Reactionszeit wieder schlagfertig gewordene Klerus der römischen Kirche mit aller ihm beiwohnenden Gewandtheit zu benutzen. Beim Wechsel der Völkergeschicke wurde auch dieses Recht, wie manches andere, für die Benutzung der Politiker und für die Freidenker in Kirchensachen so schwindsüchtig, daß sich Leute dieser Kategorie auf solches Recht nicht mehr zu stützen vermochten, ohne in Gefahr zu gerathen, schlimm zu Falle zu kommen. Dagegen berieth man in den von römischer Geistlichkeit unter dem Schutze des im Jahre 1818 errungenen Vereinsrechtes influirtcn Versammluugen um so eifriger die Anwendung derjenigen Mittel, welche die Hierarchie anempfiehlt als die Erfolg versprechendsten, um das Volk in kirchlicher Abhängigkeit zu erhalten.
Die Erfahrungen der neuesten Zeit haben hinlängliche Aufklärung darüber verschafft, welche Hebel die römische Kirche in ihr geeignet scheinenden Epochen für den angedeuteten Zweck in Bewegung zu setzen pflegt. Es wurde denn auch in den letzten fünf Jahren eine solche der Kirche wünschenswerthe Einwirkung geltcndgemacht: .durch die mannigfachsten Vereine confessioneller Natur, durch Volksmissionen und geistliche Erercitien für Priester und Lehrer, durch Begründung Von Klöstern und kirchlichen Instituten, durch bischöfliche Synoden, durch lebhafte Betheiligung bei den legislatorischen Körperschaften, durch ein schärferes Auftreten gegen Mischehen, durch Einmischung in das Erziehungs- und Schulwesen seitens katholischer Ordenögeistlichen oder Ordensschwestern, durch Angriffe auf die Freimaurerverbande, durch literarische Unternehmungen, wie — abgesehen von andern nicht minder erheblich scheinenden kirchlichen Einwirkungen auf das Familienleben — durch eine höchst bewegliche, mit
38*