282
sucht immer noch zu einem kläglichen Ausgange geführt. Bei dem Bemühen die Wahrheit zu suchen, kann das Gemüth unmöglich ganz müßig sein, ja selbst sür die Mathematik, so sonderbar es klingen mag, wird man dies behaupten müssen — der Eindruck ihres sichern, reinen Denkens, die Vorstellung ihrer außerordentlichen Resultate muß für jeden bewältigend sein, der die Erkenntniß der Schöpfung sich zur Aufgabe stellt. Wir sühlen ganz mit einem für seine Wissenschaft begeisterten mathematischen Schriftsteller (Lübsen), wenn er zur Einleitung seiner Schriften sagt: „und so schließen wir nach und nach die Pforten derjenigen Wissenschaft auf, welche uns mit dem Himmel in Bevbindung setzt."
Es wäre zu viel verlangt, wollte man von den Naturwissenschaften eine unmittelbare Erregung des Gemüths erwarten; nur der Kunst ist eine solche Aufgabe zu stellen. Möglich erscheint es aber, daß die Kunst aus der Anschauung der Naturgeheimnisse, welche die Wissenschaft zugänglich gemacht hat, ebensowol Stoff schöpfen könnte, als aus dem unmittelbaren sinnlichen Eindrnck, Die Baukunst z. B, könnte ebensogut die nur durch das Mikroskop erkennbaren Formen verwenden, wie sie die unmittelbar wahrnehmbaren vielfach verwendet hat; in die bildenden Künste hat sich seit lange die Anatomie als nothwendiger Lehrgegenstand eingeführt und den meisten bildenden Künstlern wäre es zu wünschen, daß sie die innere und äußere Gestaltung mannigfacher Naturobjecte besser als bisher kennen lernten. Selbst die Dichter könnten sich möglicherweise an der Betrachtung der Tiefen der Schöpfung begeistern und wenn wirklich, wie Goethe sagt, jeder Dichter einen gewissen Stoff erschöpft und seinen Nachfolgern davon nur wenig übrigläßt, so könnte man hoffen, aus der genauere» Bekauntschaft mit der Natur neue, bisher noch unausgesungene dichterische Stoffe zu gewinnen. So würde ferner für jeden Künstler eine Kenntniß der Psychologie sehr förderlich sein, wenn eine solche als Wissenschaft bereits eristirte.
Aber das ist auch alles; wir wagen nicht zu beurtheilen, welchen Stoff ein künstlerischer Genius möglicherweise aus der Naturwissenschaft würde ziehen können, aber außer der erhabenen Anschauung des Unendlichen, außer dem Erblicken schöner Formen durch künstliche Werkzeuge, außer der Begeisterung der Naturforscher für ihre große Aufgabe und außer der Bewunderung menschlicher Hingebung und Scharfsinnes wüßten wir keine unmittelbaren Einwirkungen der Naturforschung auf das Gemüth aufzuzählen. Insofern sie aber auf das Unendliche hinführt, ist sie offenbar in hohem Grade geeignet, religiöse Gefühle zu erwecken.
Bedeutender tritt die Naturwissenschaft als kritisches Hilfsmittel der Künste auf. Wir dürfen z. B. nur an die Perspective erinnern, sowie daran, daß optische Instrumente, neuerdings besonders Daguereotypieapparate, von bedeutenden Künstlern zur Erzielung plastischer Anschauungen viel benutzt werden. Die