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Correspondenzen.
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aller Anhänglichkeit an Kirche und orthodoxen Clerus behauptet die Entsittlichung ihren Platz. Selbst die Auflösung der Robotverhältnisse hat späterhin noch nicht viel zum Bessern geführt, besonders bei dem Glauben, dem man sich namentlich in neuesten Zeiten wieder ganz hingab, daß nämlichBeten und Steuernzahlen" die Hauptansorderungen seien, die man in preußischen Landen ungeachtet des so häu­figen Anrufens einer sorglichen Jntelligenzpflege an gute Staatsangehörige sich zu stellen veranlaßt sehe. Das den Naturwissenschaften entstammende Wissen glaubt man für verpönt halten zu müssen, ja soweit ist es in der Anspannung , des kirch­lichen Sinnes gekommen, daß man sich einzureden vermeint, die im jüngst ver­flossenen Augustmonat über Schlesien hercingebrochcne Überschwemmung sei eine un­mittelbar durch das Strafgericht des Himmels verhängte Züchtigung ?cr Menschen, die sich den Aufklärungsbemühnugen und der eitlen Wcltlust nicht abwenden wollten. Dergleichen Anschauungen über Erscheinungen und Naturereignisse, welche die Wissen­schaft vollständig enträthselt, wird aber vielfach Vorschub geleistet, so daß das Prin­cip der Hnmauität und ein vernünftiges Erkennen von Ursach und Wirkung nur äußerst sparsam Terrain zu gewinnen vermag.

Nicht allein der Bauernstand, sondern noch bei weitem mehr der Arbeitcrstand steht unter den hier näher entwickelten Verhältnissen im allgemeinen aus einer niedrigeren Kulturstufe, als in anderen und namentlich in politischer und religiöser Beziehung ausgeklärten Gegenden Deutschlands, in denen grade der Ackerbau florirt. Ungeachtet des Mangels an Arbeitern ist die sogenannte niedere Volksclasse in Oberschlesien oft den drückendsten Entbehrungen und dem tiefsten Elende preisge­geben. Die slawischen Elemente, welche bei der dortigen Bevölkerung prävaliren, sind einem Streben, bessere Zustände herbeizuführen, nicht förderlich. Die Darbenden und anderen Trostes Entbehrenden suchen sich durch Branntwcingenuß zeitweilig der sie belastenden Erschlaffung zu entreißen, der das Elend nur noch schlimmer macht, als es an uud sür sich schon ist. '

Der Mangel an Arbeitern nnd zumal an tüchtigen Arbeitern ist ein wesent­licher Factor znr richtigen Beurtheilung der nicht so mit Unrecht verschrieenen wirth­schaftlichen Zustände Oberschicsiens. Zur Zeit ist der Overschlesier. welcher sich übrigens als außerordentlich gelehrig uud anstellig zeigt, sobald auf ihn zweckmäßig eingewirkt wird, noch zu indolent und durch vorangegangenes Elend zu entkräftet, als daß man erwarten könnte, er würde sich durch eigne Anstrengung aus seiner traurigen Lage befreien. Es bleibt daher zur Beseitigung dieser immer noch sehr bedauerlichen Zustände nichts übrig, als die Hindernisse fortzuschaffen, welche den Bestrebungen, die neue Generation von den Fesseln kirchlicher Vorurthcile und politischer Befangenheit zu befreien, im Wege stehen. Wenn, wie es nvththut, durch in Oberschlesien zu errichtende Musterwirtschaften, die nicht nur äußerlich besser erscheinen, sondern durch Deckung ihrer -Kosten nnd durch Erziclung eines angemessenen hohen Ertrages von ihrer Vortrefflichkcit überzeugen, die Landwirthschaft in dortigen Gegenden einen rationeller» Charakter und einen Erfolg versprechenden Aufschwung genommen haben wird wie es sich jetzt wol anzulassen scheint, dann ist Hoffnung zu fassen, daß mit der Verbesserung des Ackerbaues auch eine Verbesserung der socialen Verhältnisse und insbesondere bei dem Banern- und Ar­beiterstande in nicht gar langer Zeit eintreten dürfte.

Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.

Als verantwort!^ Redacteur leaitimirt: F. W. Grunow. Verlag von F. L. Herbig

in Leipzig.

v Druck von <5. E. Elberl in Leipzig.