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Theater.
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Agnes. Schön ist es hier! Dies braune Getäfel ist so blank, daß es uns abspiegelt! Das ist gewiß Ncgcnsburger Arbeit! Und die bunten Glasfcuster mit den vielen, vielen Bildern darin.

Albrecht. Ja, d'as machen sie jetzt am Rhein, seit sie tu Köln den Dom baue»! Lauter Legenden! Man wird heilig, wenn man durch solche Scheiben sieht! Aber ich kann mir doch nicht deuten, daß wir hierher gerufen sind, um uns dies zu erklären!

Agnes. Und die Aussicht! O!

Albrecht. Das ist alles jetzt Dein! Aber srcn Dich nicht zu sehr! Dn mußt auch manches mit in deu Kauf nehmen. Zum Exempel den alten krüppligen Baum da, uud dort die Hütte ohue Dach!

Agnes. Mein Albrecht, Dn bist so fröhlich, das ist mein größtes Glück!

Der unbefangene Leser wird unzweifelhaft durch die letzte Wendung über­rascht werden, denn in dem, was Albrecht bisher gesprochen, war nicht die Spur einer innern hohen Freudigkeit des Gemüths zu entdecken. Hebbel hat sich wahrscheinlich diese Stimmung lebhaft ausgemalt und darüber vergessen, sie wirklich auszudrücken. Im Drama kommt es aber nicht daraus an, was man sich dazu d^enkt, sondern was man wirklich sagt. Für das Grauen und Entsetzen, kurz für die Nachtseite der Natur hat Hebbel bisher stets den an­gemessenen poetischen Ausdruck gefunden; aber wo es galt, das Positive, das Schöne, das jugendlich Frische und Kräftige darzustellen, versiegte seine Beredtsamkeit. Und so ist es ihm auch in dem gegenwärtigen Stück gegangen: wo die Wärme des Herzens ausbleibt, versucht er es, sie durch lyrische Tän­deleien zu ersetzen. Die Märme des Herzens ist eine Gabe, die keine Kunst und kein Nachdenken hervorrufen kann; vielleicht aber ist sie bisher nur durch eine falsche Richtung des Geistes unterdrückt gewesen. Es wäre schon ein wesentlicher Fortschritt, wenn Hebbel diesen Mangel zunächst fühlt,, und dafür könnten wir aus dem gegenwärtigen Drama einige Hoffnung schöpfen.

Zum Schluß möchten wir dem Dichter noch einen Horazischen Vers ins Gedächtniß rufen, mit dem wir in den Grenzboten 18i7 Nr. 23 seinen Leistungen zum ersten Male entgegentraten, in einer Zeit, wo die allgemeine Stimmung ihm günstiger war als jetzt:

Vis ecmsili oxpors mols ruit suu: Vim tLwperatttw D! quo^ue provolrunl. In w-ijuü; illom ocloi-ö vires

vmiic not'»« imimo moventos.

Die beiden Dramen von Otto Ludwig haben wir auch in der neuen Form wieder mit einer außerordentlichen Theilnahme gelesen. Wir waren die ersten, die auf die große Begabung dieses Dichters aufmerksam machten, wir haben aber auch die wesentlichen organischen Fehler seiner Dichtungen nicht verschwiegen. Nach beiden Seiten hin finden wir keine Veranlassung, unsre damalige Meinung zu modisiciren. Otto Ludwig ist ein dramatisches Talent vom ersten Range. Inspirationen und Anschauungen fließen ihm in un-