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Briefe aus Konstantinopel.
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das Unwetter am heutigen Vormittag angedauert, so würden selbst die Dampfer es für unräthlich erachtet haben, zur Herstellung der Vermittlung zwischen den Schwesterstädten verschiedener Welttheile, Konstantinopel und Skutari, sich aus dem goldenen Horn hinauszuwagen.

Man ist hier in banger Erwartung in Hinsicht auf das mögliche Unheil, wel­ches der Sturm auf dem Pontus in den Reihen der verbündeten Flotten ange­richtet haben mag, zumal der Untergang des egyptischen Dreideckers und der ihm beigegeben gewesenen Fregatte, an der Küste von Rumelien, bei Jntäda und Kara Bmnu, noch im frischen Angedenken ist. Gegen tausend Menschen fanden bei diesem Doppelschiffbruch ihren Tod; unter ihnen der Admiral Hassan Pascha, dem man in den höheren türkischen Beamtenkreisen, wo er bekannt und beliebt war, ein allgemeines Bedauern zuwendet.

Die Cholera wüthet nach wie vor in dem meiner Wohnung benachbarten Ortakoj; man rechnet, daß gegenwärtig täglich über dreißig Menschen sterben. Nichtsdestoweniger geschieht viel für die in ihren leichten Holzbuden lange Zeit den Nachtfrösten und den durchschlagenden Regengüssen preisgegebenen Abge­brannten, für die es, neben ihren Leideü, ein glücklicher Umstand ist, daß der Sultan diesen Winter in Tschiraghan residirt und von dem Elend in seiner Nähe unmittelbare Kenntniß nehmen kann.

Noch größere Scenen des Jammers als jenes Dorf sollen die französischen und englischen Lazarethe zur Zeit darbieten. Man wird nicht zu hoch greifen, wenn man annimmt, daß zur Zeit über zehntausend Mann darin aufgenommen sind. Die meisten davon sind Verwundete, die aus den drei Schlachten an der Alma, bei Balaklava und Jnkerman herrühren, und zwar hat man auch viele hundert Russen neben Franzosen und Engländern in Pflege genommen. Wie es immer zu geschehen pflegt, wird die genaue Verlustliste bei den Treffen erst spät ermittelt; die an der Alma verwundeten und getödteten englischen Soldaten belaufen sich genau auf 2-196 Mann. Ich könnte rund 2200 schrei­ben allein ich will mich aufs strengste an die amtlichen Ermittlungen halten.

Wie Sie wissen, sehlte es eine Zeitlang im englischen Spital an so man­chem. Man hat jetzt weniger Klagen, aber es wird die Besorgniß laut, daß die vorhandenen Räumlichkeiten nicht mehr ausreichen dürften, um demnächst die doppelte Zahl an Kranken und Verwundeten zu fassen, aus die man noch im Laufe des Winters rechnen muß. Bereits wurde die französische Armee­intendanz in die Räume der russischen Kanzlei verlegt, welche man vordem ge­sonnen war, gleich dem Gesandtschaftspalais selbst, unberührt stehen zu lassen. Vielleicht daß man sich später auch veranlaßt sehen wird, letzteres zu belegen. Soviel ich weiß würde damit gegen keinen Artikel des internationalen Rechts verstoßen werden, denn wenn zwei Staaten, wie Rußland und das osmanische