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auf Kosten des objectiven Urtheils begünstigt. Aber die hier angeführten Sammlungen haben doch einen wesentlich literarischen Charakter. Es sind kurze fragmentarische Abhandlungen, die von vornherein für den Druck bestimmt waren, weil die Verfasser in dieser Form ihre Gedanken am eindringlichsten vorzutragen glaubten.
In der vorliegenden Schrift dagegen sind die literarischen, ausgearbeiteten Fragmente bei weitem der kleinste Theil; das meiste besteht aus wirklichen Tagebuchblättern, aus Eindrücken, Die der Verfasser in der Hast niedergeschrieben hat und worin er seine Erinnerungen an Gelesenes, Gehörtes, an Unterhaltungen und Ereignisse firirt. Das geht soweit, daß er sich mehrmals über den Eindruck, den die eine oder die andre Recension seiner Schriften auf ihn gemacht hat und über die Empfindungen gegen den Recensenten ausführlich ausspricht.
Das Interesse an dem Buch wird also vorzugsweise ein subjectives sein, und gewiß kein geringes; denn der Name des Verfassers hat einen guten Klang im deutschen Publicum, und sehr viele, die sich aus seinen eigentlichen Schriften kein vollständiges Bild von seiner Persönlichkeit zu machen wissen, werden sehr erfreut darüber sein, daß ihnen hier Gelegenheit geboten wird, die Operationen seines Geistes ganz aus der Nähe zu beobachten. Aber wir müssen offen gestehen, daß eine nicht geringe Kühnheit dazu gehört, dem Publicum diese Gelegenheil zu bieten. Wenn man seine Memoiren herausgibt, so mag man noch so ausrichtig zu Werke gehen, man redigirt doch immer das Geschehene nach einem gewissen Zweck und hat also eine klare Vorstellung von dem Eindruck, den man durch seine Persönlichkeit hervorrufen will. Bei der Veröffentlichung von Tagebuchblättern dagegen, wenn man ehrlich zu Werke geht (und davon sind wir bei Rosenkranz fest überzeugt; wir glauben nicht, daß er auch nur eine Zeile an dem, was er im Lauf jener Jahre geschrieben, geändert hat) gibt man sich vollkommen wehrlos der Neugier, vielleicht dem Uebelwollen des Pu- blicums preis, man deckt seine ganze Rüstung und seine Waffen auf, während der Gegner von den seinigen nur zeigt, was er zeigen will.
Es gehört zu einem solchen Unternehmen also noch etwas Andres als Kühnheit, nämlich Unbefangenheit und ein gutes Gewissen. Und das wird selten bei einem, der sich an der Literatur der neuesten Zeit betheiligt hat, in so hohem Grade der Fall sein, als bei Rosenkranz. Die jetzige Literatur ist ein beständiger Kampf, und im Kampf greift man auch bei dem redlichsten Wollen in der Hast zuweilen zu Waffen, die man bei ruhiger Ueberlegung vermeiden würde. Es kommt zuweilen vor, daß man im Eifer für die Sache den Personen härter zu Leibe geht, als man es selbst wünschte, und ebenso, daß man zuweilen im gerechten Eifer gegen die Person für den Augenblick die Sache vergißt. Wer wollte in dieser schnell lebenden Zeit von sich behaupten, daß er