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beherzigt werden, dessen Lage sie weit günstiger auffassen, als es selbst der sanguinischeste preußische Beamte erwarten sollte.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir über die Haltung unsrer Freunde von der ehemaligen Gothaischen Partei einige Bemerkungen machen. Es ist gewiß zweckmäßig und nothwendig, daS deutsche Volf, das leicht geneigt ist, sich ein neues Götzenbild zu schnitzen, vor einem voreiligen Enthusiasmus für Oestreich zu warnen. Eine so hohe Anerkennung die redliche, feste und con- sequente Hallung der östreichischen Politik in der orientalischen Frage verdient, so sind doch damit noch lange nicht alle Schwierigkeiten hinweggeräumt, die Oestreich bisher abgehalten haben, sich an die Spitze Deutschlands zu stellen. So entschieden wir der Haltung Oestreichs vor der Haltung Preußens den Borzug geben, so dürfen wir darüber doch'nicht vergessen, daß alle diejenigen Hoffnungen, die sich nicht auf die augenblickliche Haltung des Cabinets, sondern auf die Gesammtheit der geschichtlichen Zustände beziehen, uns bis auf weiteres immer noch mehr auf Preußen als auf Oestreich hinweisen, obgleich wir nicht leugnen, daß im Lause des gegenwärtigen Conflicts Fälle eintreten können, die dieses Verhältniß aufheben.
Aber unweise scheint es uns zu sein, in diesem Augenblicke wieder die alten Uniönsprojccte aufzunehmen. Kein Zeitpunkt war so wenig geeignet, auch nur ganz entfernt für die Verwirklichung derselben zu arbeiten, als der gegenwärtige. Wenn man in diesem Augenblicke den östreichischen Staatsmännern zumuthct, sie sollen Preußen zum Lohn für seine bisherige Haltung freiwillig diejenige Hegemonie in Deutschland einräumen, die ihm im Jahre 18i'9 von der Weidenbuschpartei zugedacht war, so kann die Antwort wol nur ein mitleidiges Lächeln sein.
Aus Konstantinopel.
Den -16. Octoder.
Wir sind hier schon mitten im Spätherbst, wiewol in andern Jahren die sonnigen Tage bis zum Schluß 'des November, ja zuweilen tief in den December hinein zu währen pflegen. Ein trüber, bleigrauer Himmel breitet sich über Land und Meer aus, und dermaßen ist die Luft feucht und von Dünsten erfüllt, daß der Blick eine verengte Scene vor sich findet und nicht mehr über die Prinzeninseln, den Kaischdagh und- die Höhen von Ejub hinausreicht. Dabei bläst ein sröstelnmachender Nordwind von Bujukdere her die Meerenge entlang und über die kahlen Berge hin, welche Pera und die Nebenvorstädte