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Krisis die ertremen Parteien die mächtigste Einwirkung ausüben, weil sie der größten Leidenschaft fähig sind. Diese Einwirkung dauert nur eine kurze Zeit und wird augenblicklich aufgehoben, sobald das natürliche Gefühl und die unbefangene Beobachtung der Thatsachen wieder Raum gewinnt. Eine historische Darstellung der Geschichte der neuern Zeit vom Standpunkt einer ertremen Partei, etwa des RadicalismuS oder der Kreuzzcitung, würde nirgend Anklang finden; vielleicht nicht einmal bei den Angehörigen derselben Partei, weil die Thatsachen sehr bald dazu führen, den Leidenschaften zu widersprechen.
Der Verfasser der vorliegenden Schrift gehört dem gemäßigten Liberalismus an, gewiß derjenigen Partei, die bei der Darstellung der neuen Zeit die meiste Aussicht auf Anerkennung hat. Denn, daß in dem Ausgang der großen Bewegung, die mit 18-13 begann, viele gerechte Anforderungen und Wünsche unbefriedigt geblieben sind, dieser Ueberzeugung wird sich selbst derjenige nicht entschlagen können, der in dem leidenschaftlichen Ausdruck jener Anforderungen und Wünsche eine unstatthafte Auflehnung gegen das Bestehende steht.
Nun hat seit jener Zeit der'Liberalismus seine Kenntniß nach manchen Seiten hin erweitert und demgemäß seine Ueberzeugung berichtigt. In den dreißiger, Jahren sah man in jeder Opposition gegen die Gewalthaber, namentlich in den Ländern, wo die Unwürdigkeit der Regierung augenscheinlich war, einen Fortschritt zum Bessern. Jetzt hat man sich daran gewöhnt, nur diejenige Opposition für gerechtfertigt zu halten, die mit einer gewissen Naturkraft, die produktiv eintritt. Denn regiert müssen die Staaten werden, und zum Sturz der bestehenden Negierung beizutragen hat nur derjenige das Recht, der eine neue zu bilden im Stande ist. Außerdem ist in unsern Tagen der locale Gesichtspunkt durch den europäischen verdrängt worden. Früher folgte man bei der Beurtheilung der Thatsachen dem Jnstinct, der Sympathie oder Antipathie; jetzt fragt man nach her Bedeutung, die ein localer Erfolg für die allgemeine europäische Entwick- limg haben kann. Man läßt sich z. B. durch einzelne heroische Züge der Polen nicht mehr bestimmen, ohe weiteres aus ihre Seite zu treten und man sieht in dem Aufstand der Griechen nicht mehr blos den natürlichen Freiheitstrieb, nicht mehr blos das religiöse Gefühl, sondern ebenso auch die russische Intrigue.
Ganz sind in dem vorliegenden Werk diese wechselndem Gesichtspunkte nicht zur Ausgleichung gekommen. So würden wir nach der jetzt herrschenden Auffassung der allgemeinen Verhältnisse die orientalischen Händel der zwanziger Jahre wol anders darstellen, als es hier geschehen ist. Indeß bei einer Geschichte der neuesten Zeit ist so etwas überhaupt schwer zu vermeiden. Es ist eigentlich immer ein Urtheilsspruch vor dem Schluß der Aeten, und kann daher nur eine vorläufige Geltung in Anspruch nehmen. Wenn man es nur vermeidet, durch Leidenschaftlichkeit oder blinden Autoritätsglauben sich in die