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hindern; durch die Erfahrungen der diesjährigen Campagne belehrt, würden die Westmächte in Anbetracht der Schwierigkeit und Kostspieligkeit des Krieges zu einem Arrangement geneigter sein, und Rußland würde mit Freuden'die Gelegenheit ergreifen, sich ohne Gefährdung seiner Ehre aus einer schlimmen Affaire herauszuziehen. Deshalb hält Preußen es sür höchst wünschenswerth, an die Antwort des russischen Cabinets auf die Wiener Sommation anzuknüpfen, falls sie nur einigermaßen befriedigend sei, und die Verhandlungen bis zum Herbst hinzuziehen, wo die Frucht des Friedens zur Reife gediehen sein werde. Oestreich theilt diese Ansichten nicht, glaubt viclme.hr, daß diese Verzögerung nur Rußland nützen, daß Kaiser Nikolaus für einen neuen Feldzug umfassende Rüstungen vorbereiten werde, und daß die deutschen Mächte nur die unerträgliche Krisis hinziehen würden, ohne sich dadurch die Nothwendigkeit eines activen Einschreitens zu erspare». Dieser scharfe Contrast der Ausfassungen nöthigte, das zunächst Erforderliche ins Auge zu fassen, und hier einigte man sich, die von Wien nach Petersburg geschickte Sommation , deren Wortlaut von dem Wj^ner Cabinct ohne vorheriges EinVerständniß mit dem Berliner festgestellt war, als die im Vertrage vom 20. April vorgesehene Aufforderung zu betrachten, und es handelte sich um ciue Verständigung über die Unterstützung, die Preußen nach dem Inhalt des Vertrages der Sommation ange- gcdeihen lassen soll. Hier kam der Entwurf einer von Berlin nach Petersburg zu sendenden Depesche zur Berathung, ohne daß er jedoch definitiv festgestellt wurde; denn das Schriftstück ist in Berlin einigen nachträglichen Abänderungen unterzogen worden, ehe es dem Obristlieutnant von Manteuffel mitgegeben wurde. Die Wahl dieses eifrigen Anhängers der Kreuzzeitungspolitik läßt dcnu auch keineü Zweifel darüber, in welchem Sinne die östreichsche Sommation von Preußen unterstützt werden wird. Die Hauptausgabe seiner Mission wird sein, auf eine solche Gestalt der russischen Antwort hinzuwirken, welche zu weiteru Verhandlungen Anlaß gibt und dem Wiener Cabinct ein actives Vorgehen moralisch erschwert. Es scheint mir unzweifelhaft, daß ein solches Resultat, welches auch vollkommen in den Wünschen des Petersburger Hoses liegen muß, unschwer herbeigeführt werden kann. Dann wird zwischen den deutschen Großmächten eine Differenz darüber entstehen, ob die russische Antwort als eine befriedigende zu betrachten sei oder nicht; eine Differenz, die, falls Oestreich bis zum Eintreffen der Antwort seine Nüstuugen beendigt hat, zu einer zeitweiligen» Trennung der beiden Mächte führen kann.
Die Perhandluugen der preußischen Regierung mit dem Hause Rothschild über die Anleihe von 30 Millionen haben das gewünschte Resultat nicht herbeigeführt. Zu der Hälfte der Anleihe haben diese Herren sich wol verstehen wollen, zu dem Ganzen aber nur dann, wenn die preußische Regierung Garantien dafür biete, daß sie nicht durch eine den Westmächten widerstrebende Politik den gesicherten Verlauf der europäischen Krisis stören werde. Diese praktischen Geldmcinncr betrachten die Geldfrage von denselben Gesichtspunkten, wie die äußerste Linke der zweiten Kammer. Die Regierung hat sich auf diese Bedingung nicht eingelassen; es ist mir aber nicht bekannt, ob sie sich mit der ersten Hälfte der Anleihe zufrieden erklärt oder ob sie — was wahrscheinlicher ist — die Verhandlungen mit dem Hause Rothschild ganz abgebrochen hat.