4S9
die Damen passiren zu lassen, Aeußerst anmnthig war eS, die verschiedenen Pensionen defiliren zn sehen. Man kleidet hier die Kinder mit ganz besonderer Sorgfalt; auch treten die Kleinen mit mehr Sicherheit, mit einem größeren Selbstständigkeitsgefühl auf, wie bei uns, und wenn man den zehn- und zwölfjährigen Mädchen zuschaut, so nimmt man den Eindruck mit sich, als wüßten sie, daß sie vor den Schwestern in Frankistan die Frühreife um ein oder zwei Jahre voraus haben.
Mit dem Pfingstfest'betrachtet man den diesjährigen Frühling als abgeschlossen. Es ist der Sommer, welcher nun seine Herrschaft begonnen hat mit drückender Schwüle und dichten Wolken wirbelnden Staubes. Ueber den Himmel hin zieht lichtes azurnes Blau, aber dessenungeachtet ist auch auswärts der Stadt die Aussicht nicht frei, indem die Windstöße aus Süd, vom Marmormeer und den Prinzcninseln her, ohne Unterlaß eine hohle, undurchsichtige Wand -zwischen uns und der nächsten Umgebung aufthürmen. Es ist das allgemeine Uebel des Südens, über das man in Odessa wie in Neapel, in Madrid und Kalkutta, wie in Lissabon zu klagen hat. Dazu kommt, daß hier sehr wenig für Schatten, für künstliche Grasflächen, und beinahe gar nichts für Spreugen geschieht.
Die Zeit, in welcher der Staub beginnt, ist zugleich die, wo die Blu- men aufhören. Gestern, am Pfingsttage war noch ein reicher Flor auf den Tischen der Verkäufer in der großen Perastraße erschienen, aber heute bereits würde es schwer fallen, eines jener aromatischen Bouquets zu finden, mit denen ich in den letzten Monaten allwöchentlich zu mehren Malen mein Zimmer auszuschmücken pflegte. Dafür geben die inzwischen reif gewordenen Früchte, die großen, üppigrunden Erdbeeren namentlich, einen anderweitigen Ersatz.
Die hier ansässige fränkische Bevölkerung scheut den Staub nicht minder wie der Fremde. Darum sind es nur wenige, in jene vegetationöreichen Thalgründe, deren es in der Umgegend so viele gibt, sicher gegen jeden Windstoß eingebettete Vcrgnüguugöorte, nach denen sie an Festtagen wie der gestrige ihre Wanderungen hinlenkt. Am besuchtesten vor allen anderen sind die sogenannten süßen Gewässer von Europa, über die ich schon in meine früheren Berichte dann und wann eine Bemerkung einstießen ließ. Es ist hier nicht die Aussicht, sondern das helle saftige Grün, welches sich länger erhält, wo es gegen Sonne und die staubtragenden Winde geschützt ist, welches diesen Ort zum Sammelpunkt aller macht, die an arbeits- und geschäftsfreien Tagen-sich aus der Enge der Straßen hinaus ins Freie sehnen. Bei weitem die meisten benutzen, wie es auch gestern geschah, -Kaiks (d. h. türkische Boote) und schlagen demnach den Weg hafenanwärts ein; dagegen lassen sich manche Damen ungleich lieber in der Araba oder den in Gurten hängenden, drollig genug aussehenden türkischen Carrossen nach dem lieblichen Thale und zwar
63*