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Literaturgeschichte.
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»nd gleich rücksichtslos zu sein, dazu kaun der gute Wille wenigstens sehr viel thun, und der Hinblick auf jenes große und ideale Vorbild möge unsern Mnth jedesmal erfrischen nnd stählen, wenn er zu erschlaffen droht.

Diese Tendenz der Schrift ist nun in allen Theilen mit Ernst durchgeführt. Es kommt bei der richtigen Auffassung Lessings weniger darauf au, ueue uud frappante Gesichtspunkte aufzufinden, als die unsinnigen Vorurtheile wegzuwischen, die man künstlich über ihn verbreitet hat/ Lessing ist bei aller Tiefe uud Uni­versalität seines Geistes in jedem Moment so klar nnd durchsichtig, daß der un- befaugeue, gesunde Sinn sich nirgends über ihn täuschen würde, wenn man nicht seit einem halben Jahrhundert ans das unablässigste bemüht gewesen wäre, einen dichten Nebel über ihn zu verbreite», den zu durchdringcn einiger Mnth gehört. Als Friedrich Schlegel seine bekannte Schrift über Lessing herausgab, gewann sie trv^ aller Seichtigkeit eine» großen Anhang nnd ist noch immer die Quelle der Vorstellungen, die Man sich grade iu den feinern Kreisen über ihn bildet. Jenem zum Jesuitismus prädeftiuirteu Libertin mnßte die Natur Lessings ein Greuel sein, und doch hatte er einen gewissen Jnstinct für das Große und Bedeutende, den er nur ausnahmsweise vollständig verleugnete. Um beides möglichst miteinander zu vereinigen, demonstrirtc er, daß Lessing zwar kein Dichter, kein Philosoph, kein Kritiker gewesen sei, aber ein großer Mau» im allgemeinen, uu,d vor allem ein großer Mystiker, und noch heutzutage schwört die feine Welt, wenigstens ans das erste; sie ist fest davon überzeugt, daß ein so eminenter Verstand kein Dichter gewesen sein könne, was beiläufig auch für die Poesie uicht sehr schmeichelhaft ist.

Herr Schwarz hat den Kreis, in dem er sich mit'seiner Untersuchung bewegt, ziemlich enge abgesteckt, und berührt, was darüber hinausgeht, uur gelegentlich. Wir wollen daher nur auf einen Punkt aufmerksam macheu, in dem sich die dichterische uud die theologische Thätigkeit Lessings, berührt, in dem man also über das eine nicht urtheile» kann, ohne zugleich auf das andere eiuen Blick zu werfen. Wir meinen natürlich den Nathan, nnd uamcutlich die darin enthaltene Parabel von den drei Ringe». Hier hat der Verfasser den Punkt, auf den es u»s vor­zugsweise auzukomme» scheint, nicht so scharf hervorgehoben, als wir es wün­schen »lochten, und doch war es grade hier nöthig, eine Menge von Vorur­theilen zu zerstreuen, die um so tiefer Wurzel geschlageu haben,, je sinnloser sie sind. Man ist uämlich nicht abgeneigt, de» Nathan für ein theologisches Lehrgedicht anzusehen, und da man daran gewöhnt ist, eine große Verstandesüberzeugung nicht anders cmfzufasse», als ei» fertiges uud todtes Lehrgebäude, das man Paragraph für Paragraph abliest, so hat man denn auch jene Parabel so ausgefaßt, als ob Nathan seinen ganzen Katechismus fertig in der Tasche mitgebracht hätte uud ihn uun dem Sultan'der Reihe nach vorläse. Aber Lessing, der überhaupt die Wahr­heit nur in der auffassenden und schöpfenden Bewegung der Seele fand, hat auch diese Stelle vvllkomme» dramatisch entwickelt. Nathan sagt etwas Anderes, als er Grenjboten. II. i8Li, 34