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Aus Konstantinopel.
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eifernden Nebeneinander zu präsentiren, als irgend ein religiöses Bedürfniß zu befriedigen. Die Herrn gehen nicht svwvl in die Kirchen als an deren Pforten, um die Damen Revue passiren zn lassen, und stehen am Ende der Messe i» dich­ten Gruppe» in der großen Perastraße, bei St. Marie, wie man den Pnnkt nennt, an welcher Stelle das andere Geschlecht bei weitem am zahlreichsten vorüber- pasfirt.

Am Mittag kann man wetten, daß in den meisten Haushaltungen gefrühstückt wird. Der Sonntag macht um so weniger eine Ausnahme , als das Diner au diesem Tage gemeiniglich später eingenommen wird. Gleich nach dem Frühstück fliegt alles was sich irgend losmachen kann, vorausgesetzt, daß die Witterung es wie am heutigen Tage gestattet, ins Freie. Die wenigen Wageninhaber lassen ihre Equipagen vorfahren. Es sind dies nur die höchsten Familien der Diplo­matie, die reichsten Banquiers uud hohe türkische Würdenträger. Alles andere geht zn Fuß, oder reitet, die Damen nicht ansgenvmmen. Wiewol die mei­sten Reiterinnen dem ausgebreitete» Metier der Putzmachcrinueu angehören, be­steigen doch auch Dame» ans höheren Classeu das Roß.

Schade, daß für diesen allgewaltigen Trieb ins Freie »ur eine einzige Pro­menade vorhanden ist. Es ist die große gepflasterte Verlängerung der gi-uml«- i^>o <lo l>vi'!>, ein Weg, der an der Cavaleriekaserne von Bey Ogln dem großen Camps und letztlich der Harpije Maktab vorüberführt, hinter welcher er sich ins Freie verläuft, oder vielmehr auf ejuen weiten, nnr in ausgedehntem Umkreis von Häuseru umstandenen Platz, der an den Vormittagen von der türkischen Garniso» zu Exercirübungcu, au Nachmittagen aber und wenn der Sonnenschein dazu einladet, vou allen Dandys Peraö znm Reiten benutzt wird. Hier »»» ist es, wo in Erwiderung auf das Reudezvons an den Kirchthüren die Damen sich cin- stnden, um ihrerseits die Herrn Revue passire» zu lassen.

Hente war das Treiben auf der besagte» Stelle ganz besonders bnut. Die jounossv lloi'i-s war, zahlreicher wie sonst erschiene»; es geschah der neuen Pferde wegen, die man hier zu Anfang des Frühlings stets wechselt, etwa wie man die Garderobe ändert, uud welche heute galt den Damen vorzureiten. Manche Thiere waren in der That schön, indeß gilt im allgemeinen von den hiesigen Rossen, daß sie denen, welche wir in nnscren heimischen Großstädten zu scheu gewohnt sind, nicht gleichkommen. Außer dem Sultan hat kanm noch ein anderer als Lord Nedcliffe eine» gnten Reitstall. Da viele kleine Gräben den Platz, auf welchem mau die Pferde tummelt, durchschneiden, so gibt dies Gelegen-- heit Künste zu zeigen, die indeß nicht immer gelinge» wolle», und oft tragisch, mit einem Sturz aus dem Sattel, enden.

Nichts verräth in dem Auftrete» der hiesigen Gesellschaft den Kriegszustand, in welchem das Laud seit einem halben Jahre sich factisch befindet; die Heiterkeit ist allgemein, wie es der Sonnenschein am hellen, tiefblauen Märzhimmel war; man