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socialen Leben von Neuyork, von seiner glänzenden Außenseite und den finstren Geheimnissen, die sich dahinter verbergen, das meiste Interesse erregen. Aber das Auge des Verfassers geht lebhaft nach allen Seiten hin. Es gibt vielleicht keine Momente des amerikanischen Lebens, soweit es überhaupt in dem Kreise seiner Wanderungen lag, von denen er uns nicht ein lebhaftes und anschauliches Bild gibt. Er sieht schnell uud er sieht gut, und es fehlt ihm auch nicht die sichere Hand, das Gesehene deutlich darzustellen. Doch müssen wir in Beziehung auf die Form eine Ausstellung machen. Das Buch würde unendlich gewonnen haben, wenn der Verfasser eine strengere Kritik gegen sich selber ausgeübt hätte. Er denkt nnd empfindet sehr schnell, und das ist an sich ein glückliches Moment zu einer lebhaften Darstellung; aber man muß nachher das auf diese Weise Concipirte sehr sorgfältig prüfen, und das hat der Verfasser wenigstens theilweisc versänmt. Sein Buch ist seinem ganzen Inhalte nach sür die Gebildeten geschrieben uud diese werden nicht selten bei den glücklichsten Schilderungen durch Nngehörig- keiten der Form, bei dem treffendsten Naisonncment durch einzelne Uebcreilungen des Denkens gestört werden. Eine leichte Uebcrarbeitnng hätte genügt, die breiten und die burschikose» Nachlässigkeiten zu verwischen. — Zum Schluß gibt der Verfasser seine Ansicht von der Entwicklung des amerikanischen StaatölcbcnS, in welcher weder die Schwächen, noch die großen Momente verschwiegen werden. Ob nicht trotzdem das Endurtheil, namentlich in Beziehung aus die Entwicklung einer amerikanischen Knnst und Literatur zu sanguinisch ist, das wollen wir dahingestellt sein lassen. —
Zu Lmaus Biographie, von L. A. Frankl. Wien, Keck und Pierer. — Es ist noch nicht lange Zeit her, daß wir zwei Monograhien über Lenan besprochen haben, von Emma Niendorf und von Karl Mayer. Bei dem großen Interesse, welches das Schicksal des unglücklichen Dichters im gesammten deutschen Pnbli- cum erregt hat, wird auch diese ueue Schrift viele dankbare Leser finden. Sie bildet gegen die vorhingcnannten insofern eine Ergänzung, als sie Notizen über das Wiener Leben mittheilt, während jene sich fast ausschließlich iu Schwaben bewegen. Wesentlich ncnc Aufschlüsse über den Charakter des Dichters wird man kanm erwarten, doch finden wir einige recht interessante Anekdoten, aus denen wir einiges mittheilen. — Der Sammelplatz der Schöngeister von Oestreich war das silberne Kaffeehaus iu Wieu. Der Verkehr derselben untereinander weicht nicht bedeutend von der Art nnd Weise ab, wie sonst unter Litcratcn Sitte ist. Lenan machte sich schon früh durch ein ungewöhnlich stilles und verschlossenes Wesen be- mcrklich, welches aber, wenn er angeregt wurde, der herzlichsten Theilnahme Platz machte. Für die Musik hatte er nicht nur ein warmes Gefühl, sondern auch ciu eingehendes Verständniß. Zu seinen Lieblingen gehörte Franz Schubert. Die ungarische Heimat zeigte sich bei dem Dichter nur in einigen wilden Angewohnheiten und in der Verarbeitung ungarischer Stoffe; im übrigen fühlte er sich durchaus als Deutscher. Als mau thu einmal aufforderte, sich zum ungarischeu Landtag wählen zu lassen, bemerkte er, daß er dazu nicht tauge, weil er der uugarischcu Sprache nicht so mächtig sei, nm Reden halten zu können, weil er zu wenig vom ungarischen Recht verstehe uud mit seiner Bildung zu sciueu Landslcuten nicht passe. — Von der krankhasten Richtung, die von vornherein in seiner Seele lag, geben auch diese Mittheilungen zahlreiche Proben. Er liebte es, die andern durch Gesichterschneiden und Angcnrollcn zu erschrecken; er war von einer übertriebenen