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Wochenbericht.
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Ans Gastland. Es ist uns unerklärlich, welche Motive das Petersburger Cabinct veranlaßt haben, in der Petersburger Zeitung jenen herausfordernden Artikel zu veröffentlichen, welcher das Cabinct Aberdccn der Mitwisscnschast an den Plänen Rußlands zur Vernichtung der Türkei zieh und dadurch das englische Mini­sterium zu zwingen, nuu seinerseits vor die Oessentlichkcit zu treten, und die geheime Kor­respondenz vollständig abdrucken zu lassen, die ohne diese unvorsichtige uud unvoll­kommene Enthüllung des Petersburger Cabiucts wahrscheinlich erst nach Verlauf vieler Jahrzehnte das Licht der Welt gesehen hätte. Wenn das Petersburger Cabinct etwa geglaubt hat,,damit seine Stellung Enropa gegenüber zu verstärken und die seiner Gegner zn erschüttern, so hat es sich darin gewaltig getäuscht, denn noch nie hat sich die russische Politik und ihre Unverträglichkeit mit der Unabhängigkeit Europas, die Gewissenlosigkeit, mit der sie ihre Triebfedern in Bewegung setzt, die höchmnthigc Verachtung, mit der sie im GeHennen von alten Bundesgenossen spricht, denen sie öffentlich schmeichelt, weil sie ihre Hilft zur Durchführung seiner Pläne nicht entbehren kann, in grellerem Lichte gezeigt, als in diesen Enthüllungen. Erinnerung an alte Kriegskameradschaft, Bcsorgniß vor französischen Ervbcrnngs- vläncn am Rhein und in Italien, und die vou Rußland mit großer Kuust beständig wacherhaltcnc Furcht vor der Revolution hatten die beiden deutschen Mächte gegen die Ansprüche des nordischen Nachbars auf eine Weise nachsichtig gemacht, die nicht immer den Interessen des gemeinsamen Vaterlands entsprach, und thuen selbst schwere Lasten auferlegte. Was ist uun der Dank für diese Gefälligkeit? Während Ruß­land England dnrch glänzende Ancrbietuugcn zu verlocken sncht, mit ihm allein das Reich zu theilen, über dessen Schicksal, wenn es stürzt, nur alle Großmächte Europas gemeinsam entscheiden dürfen, und England, nachdem Rußland Frankreich als Gegner beseitigt hat, fragt, was dazu Preußen nnd Oestreich sagen würden, wird Oestreichs gedacht, als sei es nichts als ein gefügiges Werkzeug Rußlands, und Preußen widerfährt die nicht mindere Belcidiguug, gar nicht genannt zu wer­den. Das ist noch nicht genug! Nachdem England alle Gedanken an eine Theilung der Türkei zurückgewiesen hat, wendet man sich an das früher verschmähte Frank­reich und bietet diesem, wie man mittlerweile aus Paris erfahren hat, als Preis für die Genehmigung der russischen Pläne srcie Hand am Nheine an, zum Nach­theil desselben Prcnßens, indem eine kleine, leider einflußreiche Partei, die die Ehre Prcnßens stets im Mnnde führt, aber nie im Herzen gehegt hat/ die Ge­fälligkeit gegen Nußland bis an die Grenze des LandcsvcrrathS treibt. Gewiß mnß vielen bisherigen Anhängern dieser Partei, die bisher nur die behende So- phistik der Führer geblendet hat, ein Licht über das wahre Ziel aufgehn, dem man sie entgegenführen will. Hoffentlich werden diese Enthüllungen nun ent­scheidend wirken.

Wie ans den geheimen Depeschen hervorgeht, hat England überall mit großer Loyalität gegen die ihm' befreundeten Mächte gehandelt. Der Plan Nußlands, die orientalische Frage ohne Betheiligung sämmtlicher europäischen Großmächte zu regeln, wird von vornherein beseitigt, die Thcilungsanerbictungcn nicht blos durch stolzes Stillschweigen zurückgewiesen, sondern zugleich durch eine entschiedene Protcstation gegen die Ansicht des Kaisers beantwortet, daß die Türkei jetzt schon im Sterben liege, im Gegentheil vorgeschlagen, den allerdings sehr kranken Staat dnrch innere