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Literatur. — Zur Geschichte der Musik iu Preufieu, cm historisch- kritischer Versuch von Musikdirccior Döring, Elbing, Nenmann-Hartniann. — Das Buch erscheint in sechs Lieferungen, von denen uns zwei vorliegen. Es enthält einen sehr interessanten Beitrag für die Provinzialgcschichtc, die jetzt, glücklicherweise immer mehr angebaut wird.. Denn nichts ist so geeignet, uns von den Nbstractioncn, die mit der gewöhnlichen Geschichtschreibung unzertrennlich verbunden sind, zu befreien als die Verticfung in die Specialitäten der cinzclncn Provinzcn. Dcr vorliegende Gegenstand ist freilich kein eigentlich historischcr, cr ist kein organisches Ganze, das sich aus sich selbst entwickelte und aus sich selbst verständlich wurde. Die musikalische Thätigkeit der Provinz Preußen ist von ihrem Entstehen, d. h. von der Reformation an, in dem allgemeinen Strome dcr protestantischen Kirchenmusik mit fortgegangen. Dem Herausgeber konnte es daher nicht um eine zusammenhängende Darstellung, um eine künstlerische Comvositio» zu thun sein, sondern nur um eine fleißige, treue und sorgfältig gesichtete Sammlung der verschiedenen Notizen. In dieser Beziehung verdient er alles Lob. Mit verständiger Auswahl stellt er die biographischen Notizen über die einzelnen in Prcnßen thätig gewesenen Cvmponistcn, über ihre Stellung zu dcr Landesregierung und znm Volksgcschmack, und was sie im einzelnen für Gesang und Spiel geleistet haben, zusammen, gibt diesen Notizen durch Citate die entsprechende Localsarbe und wendet die Kritik nicht weiter an, als zum Verständniß nöthig ist. So wird denn ei» doppeltes Pnblicum durch diese Beiträge gleichmäßig angeregt werden, theils der Mnsikcr vom Fach übcr dic verschiedenen Einwirkungen dcr Bänder aufeinander uud' über die allmälige Fortbildung des Stils sehr beachtenswerthe Erläuterungen darin finden, theils aber auch die Bewohuer der Provinz, denen ein gutes Stück ihrer Vorzeit gegenwärtig gemacht wird. Denn Herr Döriug hat mit großer Feinheit die Verbindnng zwischen den mnsikalischcn nnd poetischen AuSbrüchen des Gemüths uud den Wechsel der Ereignisse hervorzuheben verstanden, und da die Musik sich bei Freude und Leid gleichmäßig bcthciligt, so gewinnen wir darans ein ziemlich vollständiges Bild. Der Umfang nnd die Genauigkeit der Notizen verdienen das unbedingteste Lob, uud es ist zu wünsche». daß die Fortsetzung der Schrift durch allseitige Theilnahme, die sie in so hohem Grade verdient, erleichtert werde» möge. —
Fliegende Blätter für Musik, Wahrheit über Tonkmist uud Toicküustler, von den, Verfasser der „musikalischen Briefe". K. Heft. Leipzig, Banmgärtncr.— In dem vorliegenden Heft ist der interessanteste Aufsatz der erste „über den gänzlichen und plötzlichen Verfall dcr GcsangMinst in Enropa" vv» Friedr. Wieck. Es ist dari» vo» .einem gewiegte» Kenner der menschlichen Stimme nachgewiesen, wie theils durch äußere technische Gründc, durch die zu hohe Orchesterstimmuug uud durch die zu starke Besetzung des Orchesters, sowie durch die Nerkenuuug des wahren Wesens der Oper, in der man lediglich dic Darstellung des dramatische» Ausdrucks sucht, während sie dcu Ausdruck doch uur i» dcr bestimmten, also beschränkte» Form dcr Tonkunst gcbc» kann, i» dcr Theorie nnd Praxis des Gesanges eine hoffnnngslose Vcrwildcrnng eingetreten ist. Gefühlt hat diesen Ucbelstand wol jeder, cS ist aber gut, daß er eiumal. laut n»d nachdrücklich zur Sprache gcbracht wird. Möchte abcr dicsc Darstellung nur auch au de» Orten, wo etwas znr Abhilfe geschehen kann, die gehörige Beachtung finden.
Herausgegeben von Gustav Freyrag und Julian Schmidt.
Als verantwortl. Redacteur legitiiuirt: F. W. Grunow.— Verlag von F. L. Herblg
iu Leipzig. Druck von C. <6. Elberl iu Leipzig.