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Sitten, Gebräuche nud Ueberzeugungen derselben zu bestimmten poetischen Individualitäten, krystallistrt und dieselben sich sv benehmen läßt, wie sie unter den gegebenen Umständen sich hätten benehmen können. Jede Einmischung wirklich historischer Charaktere oder Ereignisse, die uns ans der Geschichte bekannt sind, stört und verwirrt unsere Phantasie nicht blos in dem Fall, wo sie unserer Kenntniß widerspricht, souderu selbst da, wo sie durch Analogien einigermaßen entschuldigt wird. Denn fertig überlieferte Charaktere widerstreben der Svuve- ränetät des Dichters. Er muß heterogene Elemente aneinauderkitten, und wir empfinden sehr schnell heraus, daß wir es weder mit Wahrheit, noch mit Dichtung zu thnn haben. Am leichtesten läßt sich so etwas für eine Zeit rechtfertigen, die nnö fern steht, mit der wir durch keine Traditionen verknüpft sind, uud die daher unserer Phantasie nicht in einer bestimmten Farbe gegenwärtig ist. Indessen auch hier gehört immer eine ganz außerordentliche Dichterkraft dazu, uns so zu täusche», wie es z. B. Walter Scott mir der Königin Elisabeth, mit Maria Stuart, mit Karl II., Ludwig XI. u. s. w. gelungen ist. Jedenfalls muß der Dichter, der so etwas uuteruimmt, eine tiefere Kenntniß von dem Charakter des historischen Zeitalters, das er darstellen will, besitze», als der Leser, für den er schreibt.
Bei L. Mühlbach ist beides nicht der Fall. Der Held, den sie sich gewählt hat, steht dem gcsammten Volke bis in die kleinsten Aeußerlichkeiten seiner Persönlichkeit so lebhaft vor Augen, daß eine freie Dichtung nicht möglich ist, und außerdem glauben wir kaum zu viel zu sagcu, wenn wir behaupten, daß jeder beliebige Leser ans den gebildeten Classen, der zufällig dies Buch in die Hände nimmt, eine bessere Kenntniß von dem Wesen und der Erscheinung des alteu Fritz haben wird, als die Verfasserin. Zwar hat sie mancherlei gelesen, was von Kammerdienern und ähnlichen Personen über jene Zeit geschrieben ist, und hat sich daraus eiu eigues Bild zusammengesetzt; allein dieses Bild ist ein durchaus anderes, als was die Geschichte uns zeigt und jedenfalls ein viel schlechteres.
Zuerst wissen wir alle ganz genau, in welcher Weise der alte Fritz zu reden pflegte. Diese Weise ist der Dichterin wahrscheinlich zu unpoetisch vorgekommen. Sie nimmt zwar einzelne Brocken davon ans, die sich uun iu dem Uebrigen wunderlich genug ausnehmen, im allgemeinen aber läßt sie ihn so reden, wie ein juugdeutscher Literat, der über Friedrich den Großen rcfleetirt. Das bekommt noch dadurch einen wunderlicheren Anstrich, daß sie durch ihre Memoiren eine Reihe widerwärtiger Geschichten erfahren hat, in die Friedrich der Große verwickelt gewesen sein soll, daß sie aber nebenbei immer das Princip festhält: es war ein großer Mann und er ist in allem groß gewesen, was er that. Sogar in das Verhältniß zu Biche, der Liebliugshüudiu, wird eiu tiefes Gefühl gelegt. Ob auch das-Verhältniß zn der schönen Tänzerin, das sie des breiteren erzählt, m