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Wochenbericht.
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Wochenbericht.

Pariser Brief. Baron Kiseleff hat Paris verlassen. Der Zar hat die Wiener Note verworfen. Aberdecn, der diplomatische Friedcnsfürst selbst, hat seuf­zend gestanden, daß auch die letzten Fricdenschancen zu schwinden beginnen .... und doch sind wir wieder um eine Woche hinausgeschoben worden, ehe wir wissen, ob Krieg, ob Friede Europas Loos wird. Daß wir unsererseits nicht mehr an die Möglichkeit des Friedens glauben, als unser verehrter Nachbar Nberdecn, das wird den Leser nicht befremden; wir wollen ihm, daher blos kurz andeuten, warum das Parlament dem Mi­nisterium eine neue Frist von acht Tagen gegönnt und warum die Fincmzcrüme ihren Freund und Beschützer Abcrdcen mit seinem neuen Glauben im Stiche gelassen haben. Das Geheimniß ist nicht cvmplicirt und ist in den Worten: I.es negciciationZ tle Viemis sunt monos, vivom los n egoeiittions (ls VilZimo. Der Kaiser von Oestreich hat sich abermals an den Zaren gewandt und ihm in einem eigenhändigen Schreiben die Sache des europäischen Friedens ans Herz gelegt. Auch Ludwig Napoleon hat einen stilisti­schen Versuch gemacht und man will abwarten, was diese beiden allerhöchsten Brief­schaften für einen Erfolg haben. Graf Orloff bringt den Brief Franz Josephs nach Petersburg und der Curier, welcher Castelbajacs Abberufung »ach Nußland befördert, nimmt den erwähnten Brief des Kaisers der Franzosen mit sich. Das Schreiben Ludwig Napoleons soll ein kurzes Ncsumü der bisherigen Bemühungen seines wie des engli­schen Hofes, den Krieg zu vermeiden, enthalten, den Zaren zugleich in warmen und energischen Ausdrücken die große Verantwortlichkeit seiner hartnäckigen Haltung vor Gemüth zu führen. Da das Schicksal Europas so zu sagen von der Antwort auf den Erfolg dieser letzten Vorstellungen gesetzt ist so gibt es für den Augenblick nichts Interessanteres, als aus den vorliegenden Actenstückcn zur Geschichte der orientalischen Angelegenheit einen Wahrschcinlichkcitsschluß auf den Ausfall dieser allerletzten und allerhöchsten diplomatischen Versuche zu construiren oder mit andern Worten, unsere An­sicht, daß der Krieg nicht mehr zu vermeiden ist, mit Hilse der veröffentlichen Korre­spondenz zu begründen.

Die bekannt gewordenen Actcnstücke, die französischen sowol als die im Blncbook mitgetheilten, haben kein neues Factum zur öffentlichen Kenntniß gebracht und das ist wol der erste Eindruck, der uns aus dem Studium der unzähligen Noten, Kreisschrei­ben, Depeschen, Protocollc und vertraulichen Unterhaltungen entgegentritt. Die Macht der modernen Sitten, welche die öffentlichen Angelegenheiten auch vor dem Forum der Oeffentlichkeit verhandelt wissen will, hat trotz des Druckes, der auf der contincntalen Presse lastet, auch diesmal sich geltend gemacht. Der Telegraph und der Journalis­mus der Handel, wie die geistigen Wächter der europäischen Interessen, waren von Schritt zn Schritt von dem Gange der Ereignisse unterrichtet, und wer heute diese Corrcspondenzen durchliest, der glaubt irgend ein gut unterrichtetes Journal vor sich zu haben. Alles, was hier mitgetheilt wird, war bekannt, und was diesen Bricfschaste" einen besondern Werth verleiht, das ist eben die vfsicielle Bestätigung der gekannten Verhältnisse mit all ihren Widersprüchen nnd unanfhörlichen Revirements. Sogar die Börse wird gewissermaßen rchabilitirt, indem sich in den vorliegenden Acten der Grund zu den häufigen Schwankungen, welche den Papiermarkt in den letzten Zeiten heimge­sucht, auss deutlichste nachweisen läßt.