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Dichtung und Dichter.
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Verehrung vor dessen reiner Seele in rührenden Tönen der Klage ausspricht, so ist das gewiß das schönste Denkmal, das einem Sterblichen gesetzt werden kann, und so finden sich in der Sammlung noch viele andere Lieder von un­zweifelhaftem individuellem Werth. Aber der Herausgeber hat sich die Sache dadurch verdorben, daß er sie mit vollständiger Absicht, wie ein Compendium der Literaturgeschichte, zusammenstellt. Diesen Zweck erfüllen sie nun keineswegs; denn ein dichterisches Werk und ein dichterisches Talent kann nur durch Prosa und Analyse richtig gewürdigt werden. Nur eine so durch und durch prosaische Natur, wie Boilecm, konnte diese Aufgabe, eine Literaturgeschichte in Versen zu schreiben, fast so gut lösen, als wen» er es in Prosa gethan. Wo der Poet in seiner Natur bleibt und entweder die gegenständliche Welt oder seine eigentliche Stimmung mit innigem Gefühl dem Publicum mittheilt, wird er gewiß zahlreiche Freunde finden, wenn nicht im großen Ganzen der gebildeten Welt, doch wenig­stens iu dem kleineu Kreise, dem er angehört nud der ihm befreundet ist. Aber wenn er seine schöne unabhängige Stellung aufgibt uud in das Geschäft des Kritikers oder Historikers pfuscht, wird er sich keine» Dank erwerben; statt die Prosa zur Poesie zu erheben, wird er die Poesie zur Prosa herabziehen.

Das süddeutsche Theater.

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(Baiern, Oestreich, Wnrtemberg.)

Blastrtheit gegen Schmuck und Freude des Lebens, Geringschätzung des Gegebenen um Unerreichbares war noch vor wenigen Jahren ebenso modern, als geistreich. In saloppen Versen nach Ausdruck suchend, nannte sich diese Stimmung poetischer Weltschmerz und die praktische Welt klatschte dieser Dichtcr- verstimmnng ihren Beifall, bis sie sich selber wahrhaft ernster Anliegen und großer Aufgaben bewußt ward. Da hieß plötzlich der Weltschmerz und seine Poesie eine

lächerliche Lüge.--Seitdem ist anch die praktische und uupoetische Welt durch

tiefe Enttäuschungen und rasches Ermatten zu tiefer Blasirtheit in allen Richtungen des Lebens gelangt. Nur das rohe Mein und Dein scheint nicht in die Er­schlaffung gerissen. Trotzdem allgemeine Klage über grassen Materialismus; Glcichgiltigkeit gegen das, was uns an geistiger Schönheit uud ästhetischen Gaben geblieben, geht Hand in Hand mit spröder Uugenügsamkcit an dem, was. sich unter solcher Ungunst der Stimmungen uen entwickelt; eine pessimistische und negirende Verstimmung in allen höhern Richtungen des Daseins ist das charak­teristische Leidenssymptom unserer unmittelbaren Gegenwart.