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sextenaccord vorgehaltenen Sexte zum angeschlagenen Septimenaccord, der einen sehr weichlich sentimentalen Ausdruck gibt, und nachdem ihn Weber und Mendelssohn stark vernutzt haben, im Lohengrin so durchaus stereotyp iu der Can- tileue ist, daß mau vvu dieser Wendung jedesmal einen sicheren Nückschlnß auf die Intention einer Cantilene machen kann. Wenn dagegen der gewöhnliche Dominantenschluß sich mitnutec breiter macht als nöthig wäre, hier und da (wie beim Schluß der Arie Telramunds) noch mit etwas Gewürz versetzt, so läßt mau sich das viel eher gefallen; wie denn überhaupt durch das fortgesetzte Hervorziehen des Frappireuden das eigentlich Triviale so zu Ehren kommt, daß es manchmal wie originell klingt.
Die schlimmste Folge des Charakterisiren im Einzelnsten ist, daß nun auch iu der Harmonie alles ohne inneren Znsammenhang vereinzelt wird. Daher mit Vorliebe Accorde unmittelbar zusammengestellt werden, die entweder nur entfernt oder gar nicht verwandt sind, und für die das Ohr eine Verbindung entschieden fordert, eiu Verfahre», das zu einer vollständigen Negation der Gesetze der To- »alität führt. Ich rede nicht von den grammatischen Regeln, verbotenen Querständen und dergleichen Trivialitäten. Der Satz, daß das Genie die Regel übertreten dürfe, wenn ein höheres Gesetz dies verlaugt, ist heutzutage so allgemein anerkannt, daß die, welche sich Genies zu sein dünken, vielmehr glauben fragen zu müsse», wan» sie die Regel beobachten dürfen. Die harmonische Behandlung ist bei Wagner entweder trivial, oder durch Vereinzelung so willkürlich, daß es scheint, als habe er von den Accorde», die auf einen Ton gebaut werden können, einen beliebigen herausgerissen, ohne Rücksicht auf das, was vorangeht oder was folgt, so daß vv» einer wirkliche» Accvrdfvlge, von Zusammenhang der Tonarten oft gar nicht mehr die Rede sei» kann. Wen» ma» seine Behandlung der Bässe verfolgt, die bekanntlich eins der charakteristischste» Momente für die Beurtheilung einer Composition ist, wird man das deutlich gewahren. Hier nnr ein Beispiel. Ehe der Heerrufer das Gottesgericht verkündet, blaseu die Trompeten einen Aufruf: auf den gebrochenen ^ cwr-Accvrd folgt ei» wiederholt angegebenes V, das man nur als die Dominante vo» ewr empfinden kann und daher 6 clur im Ohr hat; allein ohne weiteres schlägt das Orchester 6mo11, nnd darauf I) moll au. Noch ärger! Der Aufruf wird später wiederholt, und wiederum erfolgt v woll — darauf war man »nu vorbereitet — und Ls moU. Wenn das keine musikalische Ohrfeige ist, so gibt es keine. Wenn man nun vollends steht, daß hier in der Situation gar kein Grund für irgendwelche harmonische Extravaganz liegt, was kann man erwarten, wo die Empfiiidimgeu i» der That gesteigert si»d! Hier sind es einfach nebeneinander gestellte Accorde; daß die Wirkung nicht verbessert werden kann, wenn sie äußerlich iu Verbindung gebracht werden, leuchtet ein. Während (im ersten Act) die Bässe und Fagotts den Kampfplatz abstolpern, schlagen Trompete, Po-
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