130
damit sie nur etwas zu bedeuten scheinen und daher vollständig unsangbar werden nicht selten, z. B. das widerwärtige Motiv zu den Worten Telrmnundö: „Gewahrt, ob ich sie fälschlich schalt," das nachher miederholt wird; oder in der Einleitung zum zweiten Act der Gang der Violoncelle in verminderten Intervallen und syncopirten Rhythmen zum Paukenwirbel ans l^is, wo die Bosheit freilich mit dem Maurerpinsel gemalt, aber wenig Musik zu finden ist. Doch es kann nichts nützen hier einzelne Beispiele zu häufig anzuführen.
Merkwürdig ist der Mangel an Erfindung im Rhythmischen. Was sich hierin Eigenthümliches findet, beschränkt sich fast ganz auf Einzelheiten, wo freilich besonders aus declamatorischen Rücksichten, manche wunderbare Rückung und Syncopirung auffällt, z. B. in Telramuuds Arie, oder bei den Worten Ortruds „soll ich in Gnaden bei dir wohnen," wo die Bratsche mit Vierteln, Viertel- sextolen, Achtelsextolen wechselt, wie ein fieberhaft unruhiger Puls; allein einen originellen frischen Rhythmus von langem Zug, der ein Musikstück wirklich neu belebte, wird man vergeblich suchen. Dagegen findet sich leider der verwünschte, zerhackte Rhythmus, besonders in Baßmotiven, z. B. wiederholt bei den verschiedenen Phrasen, die das Gottesgericht angehen, welchem Meycrbeer zu Ansehen verholfen hat und der, ich weiß nicht wie, Kraft und Würde ausdrücken soll, da doch dies Hinken uud Humpeln das Gegentheil vom festen männlichen Auftreten ist.
Bei weitem mehr eigenthümliche Wirkungen erzielt Wagner durch die Harmonie als dnrch Melodie und Rhythmus. Allerdings sind' anch dieselben ihrer Natur nach massenhafter, drastischer, also i» seinem Sinn charakteristischer, und dann ist aus dem Gebiet des Harmouischen der Mangel an originaler Erfindung durch Er- findsamkeit, Combinationsgabe und Geschicklichkeit weit eher zu verdecken. Wahrhaft neue Schöpfungen, oder auch nur geniale Blitze, welche einen Blick in früher nicht geahnte Regionen der Harmonie eröffnen, wird mau vergeblich suchen; es zeigt sich auch hier nur die Uebertreibung in Anwendung des schon Dagewesenen, welche freilich überraschende Wirkungen hervorbringt. Aber nur überraschen ist keine Kunst. Wenn jemand, der in guter Gesellschaft zu sein glaubt, plötzlich von feinem Nachbar eine Ohrfeige bekommt, so wird das ohne Zweifel einen überraschenden Effect auf ihn machen, uud solche harmonische, oder vielmehr unharmonische Ohrfeigen erhält man im Lvhengrin jeden Augenblick, mitunter hagelt es ordentlich Püffe. Der Grund liegt auch hier wieder in dem Bestreben, die Charakteristik eines jeden einzelnen Moments ans die Spitze zu treibe«. Daher zunächst ein Vermeiden dessen, was nicht nur das Gewöhnliche, sondern auch das Naturgemäße wäre, und ein Hervorsnchen der weniger nahe liegenden harmonischen Wendungen, z. B. frappante Schlüsse aus Moll iu Dur, oder wo man nach der Tonica die Dominante erwartet, der Uebergang in die Durtonart der Terz und vieles Aehnliche, das an seinem Ort vortrefflich wirkt, aber wenn es abgebraucht wird, seinen Charakter einbüßt. Dahin gehört der Schluß mit der vom Quart-