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Größe des Dichters zu würdigen, der nur vom literarhistorischen und technischen Standpunkte richtig aufgefaßt werden kann, weil er das Unglück hatte, eine Weltanschauung poetisch zu idealisiren/ die durchaus unmenschlich, barbarisch, verab- scheuuugswürdig war.
Als sich die deutsche Literatur gegen die französische erhob, war im Anfang namentlich aus der Bühne das Streben ein durchaus deutsches. Lessings große Werke sind aus dem innersten Kern des deutschen Denkens und Empfindens hervorgegangen und was iu dieselbe Zeit von dramatischen Versuchen fällt, z. B. die ersten Stücke von Göthe und Schiller, Leisewitz u. s. w., ferner die Bühnen selbst, gingen ganz nach derselben Richtung hin. Aber mit Ausnahme der Lessing- schen Stücke,, die Kunstwerke im höchsten Sinne des Worts genannt werden müssen, litten alle diese Versuche an einem Fehler, der eine gedeihliche Entwickelung unmöglich machte: sie waren Prodncte des rohesten Naturalismus. Zuletzt lies das volksthümliche Theater theils iu rohe studentische Ritterstücke, theils in ganz prosaische Darstellungen der gewöhnlichen bürgerlichen Misere aus, und zog das Volk herab, anstatt es zu erheben. Als gar im Jahre 1789 Kotzebue mit seinem ,,Menschenhaß und Reue" das gesammte deutsche Publicnm in Entzücken und Bewunderung versetzte, war noch ein schlimmerer Moment eingetreten, nämlich jene laxe, empfindsame Moral, die schlimmer ist, als die offen ausgesprochene Frivolität. Dieses Unwesen haben unsere großen Dichter lebhaft empfunden, und um demselben zu steuern, ein Mittel ersonnen, das nur in Deutschland möglich war. Sie sind uämlich auf die Gründung eines Theaters ausgegangen, welches lediglich von reinen, idealen Kunstprincipien geleitet werden uud mit den Neignngen und Empfindungen der Masse gar nichts zu thun haben sollte. Es ist zum erstell Male in der ganzen Geschichte vorgekommen, daß eine classische Dichtungsperiode sich die Aufgabe stellte, den Inhalt des wirklichen Lebens nnbe- diugt uud mit Bewußtsein zn verleugnen.
Möglich wurde das durch die Souveränetät, die Göthe in der dentschen Literatur ausübte, durch seine despotische Natur und durch seine Verbindung mit Schiller. Als er im Jahre 1791 die Leitung des Weimarischcn Theaters übernahm, wurde dies kleine Theater wegen der bedeutenden dichterischen Kräfte, die sich daran betheiligten, der Mittelpunkt der deutschen Entwickelung. In Berlin schloß sich Jffland, wenn er auch in seinem Herzen nicht ganz damit übereinstimmte, gehorsam dieser Richtung an, in Wien und andern Städten suchte mau sich wenigstens soweit zu nähern, als es möglich war. Die Aufgabe des Weimari- schen Theaters wurde nnn, da man die Kunst lediglich um der Kunst willen betrieb und gegen den Inhalt der Kunstwerke ziemlich gleichgiltig war, Stücke von vollendet classischer Form dem Publicnm vorzuführeu. Das Repertoir des deutschen Theaters selbst konnte dazu nicht ausreicheu, vielleicht wäre es möglich gewesen, wenn Schiller noch zehn Jahre länger gelebt und nicht blos selber in sei-