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Calderon in Deutschland.
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Caldervn in Deutschland.

Um den Einfluß, den Caldcron auf die deutsche Bühuc und aus die deutsche Literatur überhaupt ausgeübt hat, zu verstehen, muß mau sich den Zustand der ersteren vergegenwärtigen, als Calderon bei nns eingeführt wurde. Nur aus der merkwürdigen idealistische» Richtung des Theaters im Uebergang des vorigen Jahrhunderts zum gegenwärtigen ist es begreiflich, daß man den Versuch wagen konnte, einen Dichter, dcsseu religiöse und politische Gesinnungen, dessen sittliche Vorstellungen nnd dessen Kunstformen dem Wesen des deutschen Volks ans das unerhörteste widersprachen, ganz so wie er geschrieben hatte, auf die Bühne ein­zuführen und ihn sogar den deutschen Dichtern als Vorbild vorzuhalten. Eben darum ist es aber auch erklärlich, daß trotz der großen Studien, die man aus die­sen Dichter gewandt hat, von einer unbefangenen Würdigung desselben noch nir­gend die Nede ist. Denn die sich überhaupt mit ihm beschäftigten, verlangten für seinen Inhalt wie für seine Form gleiche Anerkennung, und sahen sich meistens in der Lage, wenigstens bis zn einer gewissen Grenze für seinen sonderbaren spa­nischen Ehrbegriff, für seine katholische Bigotterie, für seiue Bildersprache uud seine Versmaße Propaganda zu machen, und das mußte auf der audern Seite die na­türliche Reaction hervorrufen, daß man in ihm weiter nichts sah, als eben diese zunächst hervortretenden Eigenschaften, nnd daßvman auf das ernsthafteste gegen die Einbürgerung eines Dichters protestirte, der allen nnscrn sittlichen Principien Hohn sprach. Es war das eine ernsthafte und durchaus gerechtfertigte Nothwehr, denn unsere sittlichen Grundsätze waren und sind noch immer durchaus uicht so befestigt, daß mau deu Gegensatz derselben mit einer gewissen Liberalität behan­deln könnte, umsowenigcr, wenn man sieht, wie die Schnle, die jene ästhetischen Principien vertritt, mit der kirchlichen und politischen Reaction Hand in Hand geht. Erst wenn man über das eigene Wesen soweit ins klare gekommen sein wird, daß man über die Absurdität, das deutsche Publicum mit Calderonschen Stücken zu unterhalten, nicht mehr in Zweifel ist, wird man im Stande sein, die

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