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bleibt sich gleich, wenn wir uns in beiden Fällen mit einem Referat begnügen müssen. —- Wenn aber in der Ausbreitung der Handlung und in der Verständ- lichung ihrer Motive Herr Nenmeister offenbar einen verständigern Plan verfolgt hat, als Hebbel, so ist das Interesse, das sei» Stück einflößt, doch viel geringer. Zwar ist auch in Hebbcls Tragödie der steife, gekniffene, pretiöse Ton keineswegs poetisch, aber er spannt uns wenigstens und regt sehr stark unsere Phantasie zu eigener Thätigkeit an. Herr Nenmeister bewegt sich in dem gewöhnlichsten deklamatorischen Stil, der fast überall in Sentimentalität verfällt und sich daher am wenigsten für die Natur der Handlung eignet. Die beiden Hauptpersonen sind zu weich nnd zu gewöhnlich, als daß wir ihnen ein tragisches Interesse schenken könnten, und das von der Sage überlieferte Motiv der Handlung ist so seltsam und ungewöhnlich, daß wir uns nur ganz eigenthümliche, seltsame und forcirte Charaktere als Träger desselben denken können. Die weitere Entwickelung ist ungefähr so ausgeführt, wie bei Hebbel, nnr mit weniger Energie nnd Entschlossenheit, und zuletzt wird die Spitze vollständig abgebrochen. Zwar ist bei Hebbel der Entschluß Mariamnens, den Tod ihres Gemahls durch ein glänzendes Fest zn feiern, um dadurch ihren Gemahl, an dessen Tod sie nicht glaubt, zu veranlassen, sie ungerecht zu tödtcn, so abenteuerlich und widersinnig, daß der Eindruck fast ans komische streift; aber Hebbel hat uns diese Scene mit soviel Aufwand der Phantasie ausgemalt, daß wir wenigstens für den Augenblick mit fortgerissen werden, und daß nns die Widersiniiigkeit gar nicht einfällt. Was aber Herr Nenmeister an die Stelle desselben setzt, ist ganz schwach und ungenügend. Mariamne zieht sich in ein friedliches Thal zn armen Hirten zurück, wo die Essener wohnen (durch welchen Umstand wahrscheinlich auf die moderne Theorie von der Bildung des Christenthums hingedeutet werden soll), und HerodeS, der in einem Monolog sehr irreligiöse Ansichten ausspncht, wird vom Blitz erschlagen, worauf hinten ein transparentes Bild sich eröffnet, eine Hirteuflur mit dem Stern und dem Chor der Engel, der eine ziemlich unbedeutende Cantate absingt. Das ist ein Opernschluß, der sich für ciue Tragödie nicht ziemt. —
Das Drama: Galiana von Viterbo gehört nnr nneigentlich in die Reihe der historischen Tragödien. Es spielt in der Mitte des 12. Jahrhunderts, in jener Zeit, wo die italienischen Städte ihre Svuveräuetät dazu anwendeten, sich einander auf das wildeste zn befehden. Die Fehde zwischen Rom nnd Viterbo wird hier hergeleitet durch ein schönes Mädchen, das die Römer für einen der ihrigen gewaltsam werben wollen. Diese Schönheit ist so gewaltig und so fas- cinirend, daß jeder, der sie fleht, im vollsten Sinne des Worts geblendet wird und den Verstand verliert. So etwas ans dem Theater darzustellen, ist sehr mißlich, wenn es als fortlaufendes Motiv des Stücks angewendet wird. I» einer Reihe von Scenen sollen wir fortwährend daran glauben, daß Galianas Schönheit Wunder thut, und da liegt es zu nahe, daß wir mit eigenen Augen prüfen.