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glänzte er am meisten in der Arie des ersten (O welche Lust) und in der Romanze (Komm, holde Dame) des zweiten Actes, Auffällig und eigentlich unschön erschien bei dem ersten Stücke der Mißbrauch des pui-lurnw, des Uebersiihren des Gesaugtons in ein weinerliches Sprechen. Es gibt auch hier gewisse > Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen und man darf nie dem Komponisten, der mit Ueberlegung die Noten schrieb, um die Stimmung auszudrücken, solches Unrecht anthun. In der Romnuze des zweiten Actes saug er V4 und ^ sehr schön und besonders das letzte, colvrirte Stückchen mit großer Bravvur und äußerst weiser Anwendung der vorhandenen Stimmmittel. Auch die Erinuerungsscene des dritten Acts wurde gut von ihm ausgeführt. Die dramatische Darstellung war nicht sowol eine gerundete, als eine durch viele geschickte und kokett ausgeführte Einzelnheiten überraschende; das Publicum ließ sich dadurch am meisten hinreißen.
Neer aus Coburg hat Leipzig jetzt verlassen, um in Gratz zu gastireu. Er wußte bis deu letzten Augenblick sich die Gunst des Publicums zu crhalteu uud erfreute am Schluß besonders durch seine Darstellung des Johann von Paris und des Postillons von Lonjumeau. Letztere Oper war hier seit laugen Jahren nicht gegeben worden; sie intcresfirte durch ihr hübsches Buch und die harmlose Musik, die uns ganz entsprechend dem Sujet gehalten scheint. Gegen solche Musik zu eifern, erscheint uns falsch. Die komische Oper verlangt immer eine gewisse Leichtigkeit und Durchsichtigkeit, und sobald dieselben aus elegante Weise geboten werden, mag man sie mit Freuden hinnehmen und nicht nach dem Maßstabe des strengen Klassikers berechnen.
Theater. Außer Dorns „Nibelungen" soll im Lans des nächsten Winters eine neue Oper vou W. Taubert im k. Theater in Berlin zur Aufführung kommen, zu welcher Paul Heyse den Text geschrieben hat. —
Der Pepita-Enthusiasmus scheint in Wien seinen Siedepunkt gefunden zuhaben. Was wir davon hören, schmeckt zu sehr nach den Hundstagen. —
Literatur. — Deutsches Wörterbuch vou I. Grimm und W. Grimm. Sechste Lieferung (Bau—Beleg) — Leipzig. S. Hirzcl. — Wenn wir den segensreichen uud glücklichen Verlaus dieses Werkes betrachten, so können wir uns doch dabei eines geheimen Mißbehagens nicht erwchren. Es ist ein so schönes Zeichen dafür, wie auch im gemeinschaftlichen Wirken der deutsche Geist sich verständig uud fruchtbar zu regen weiß, und doch sehen wir in den wichtigsten Angelegenheiten des Vaterlandes da, wo die Noth am größten ist, diesen Geist sich als unfähig zu einer wirkliche» Gestaltung erweisen. In der Wissenschaft wirkt der Deutsche mit einer Aufopferung und Hingebung, die ihm keine andere Nation nachthut; er will niemals seine Persönlichkeit geltend machen, es ist ihm mir um die Sache zu thun. In dem öffentlichen Leben dagegen drängen sich die Individualitäten hervor, die größten Zwecke scheitern an dem ungesunden Drang, jede augcublickliche Laune oder Doctrin zu bethätigen, und an der zu großen Fülle origineller Einfälle scheitert das edelste mit Anstrengung uud Hingebung unternommene Werk. Möchte uns wenigstens die Betrachtung unserer Wissenschaft aus die richtige Bahn verhelfen! Und auch in diesem Sinn, wenn es auch eine nur sehr secun-