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Correspondenzen.
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Weiteres entlehnte, als die Rücksicht aus schönen sinnlichen und reinen Klang und auf eine gewisse Sorgfalt in der rhythmischen Gliederung der Motive, welche die Italiener längst der natürlichen Logik des Volksgesanges abgelauscht hatten. Das französische Element tritt schon mehr in den Vordergrund, besonders in den blos recitirendcn Sätzen, welche sich ganz dem Wesen der declamirenden Manier anbequemen, nicht minder in den Melodien, die sich am meisten dadurch von den italienischen unterscheiden, daß sie nur selten das Tragen einzelner Sylben über längere Phrasen gestatten, sondern in den meisten Fällen die melodische Bewegung mit der Sylbe fortschreiten lassen. Diese Weise zu singen führt leicht zur Monotonie und Schwerfälligkeit, und es ist nöthig, daß die musikalischen Motive voll der höchsten Kraft und modulatorischcn Fähigkeit sind, um sich vollständig mit einer derartigen melodischen Darstellung auszusöhnen. Dies aus­zuführen war nur einem Deutschen möglich und in der That tragen auch alle seine Motive den Charakter der deutschen Musik an sich; sie zeichnen sich aus durch Schwung und Gefühl, durch Tiefe und Charakter, durch Herz und Gemüth, und Gluck's musika­lisch-gründliche Erziehung vermochte nur die Mannigfaltigkeit zu erzeugen, die trotz der Uebereinstimmung der Motive, im einzelnen dennoch bewunderungswürdig ist. Es liegt in ihnen gleichsam eine Verklärung der deutschen Muse, die in jenem Jahrhundert das letzte Mal in dramatischer Musik bei ihm rein und keusch erscheint. Es liegt der unbe­schreibliche Zauber einer echten Klassicität über allen diesen musikalischen Gedanken aus­gebreitet. Mau kann wol von einer Gluck'schen Manier sprechen, doch ist es merk­würdig, daß man die äußeren Zeichen derselben weniger in dem melodischen Bau suchen darf, denn dieser ist dnrch Beschaffenheit der Texte und der Natur der verwendeten Sprache auf eine bestimmte Ausführung hingewiesen, als in der ganz neuen Art Gluck's zu harmouiflren und in der Selbstständigkeit, mit welcher er das Orchester sowol in seiner Totalwirkung handhabt, als auch wie er dasselbe dnrch die jetzt möglich gewordene Figuration und Klangschattirung zur Unterstützung seiner Worte benutzt. Im allgemeinen hält sich Gluck an die von jener Zeit sorg­fältig verlangte Reinheit der Harmonie; er schreitet über dieselbe nur in den Fällen, wo der Ausdruck eines höchsten tragischen Moments ihn zu außergewöhnlichen Anstren­gungen auffordert und es treten uns dann die durch ihn geheiligten verminderten Sep- timenaccorde entgegen, die wegen ihrer sparsamen Benutzung in jener Zeit das Ohr und den Geist tiefer erschüttern, als dies in unserer blafirt-musikalischen Zeit möglich, die mit diesen exceptionellen Accorden übermäßig freigebig verfährt. Wie vorsichtig Gluck bei aller seiner Vorliebe für diese Accorde zu handeln Pflegte, davon mag hier nur ein Beispiel angeführt sein, der erste Chor der Alccste in Ls-c!ur, die Klage des Volks über den bevorstehenden Tod des geliebten Königs. In diesem Chor spricht sich der tiefste Kummer aus, und es mangelt somit nicht die Gelegenheit, mit den spitzen Messern dieser Harmonie den Schmerz in den Busen cinzustachcln, allein die Anwendung derselben ist uuterblieben, und mit Recht, denn die Steigung -des Unglücks verlangt eine sorgfältige Ockonomie in dem Gebrauch der Kunstmittel. Dieses Sparen versteht Gluck meisterhaft, er leitet und führt mit bedächtiger Hand bis zu dem Punkte, der die höchste Äccentnation verlangt, und dann gibt er diese geschickt und wahr, aber nicht mit massenhaften Mitteln, vielmehr ist es die Innerlichkeit und Jntcnsivität des Aus­druckes selbst, aus welchen die Wirkung entspringt. Der innere Werth des Gedankens bedingt immer nur eine geringe äußerliche Unterstützung; die Hinzusügung von allerhand