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wieder in Erinnerung gebracht wnrde, daß die Parteigänger Wagner's auf ihn, als den Vorläufer des großen Propheten, hindeuteten.
Die Zeit von den letzten Oper» Gluck's war gewiß die gesegnetste und fruchtbarste, welche je die dramatische Musik erlebt bat. Alle großen und kleinen Residenzen Europas, eine Anzahl größerer Städte, besonders Italiens und Deutschlands, hatten der Oper ihre Thore geöffnet. Es klingt uns wie Feenmärchen, wenn wir von der scenischen Pracht lesen, mit welcher diese Musiken ausgestattet wurden. Compouisteu gab es wie Sand am Meere, vorherrschend die Italiener, ihnen schlössen sich die Deutschen an und zwar auf ganz sklavische Weise, denn seit Kaisers Tode in Hamburg war die deutsche große Oper im eigentlichen Sinne des Worts untergegangen, und schon zu dessen Lebzeiten fügten sich die besseren, deutschen Componistcn, unter diesen sogar Händel, der italienischen Weise. Freilich muß man jener Zeit zugeben, daß selbst die Italiener in einem gewissen würdevollen Stile schrieben, wenngleich die Schablone der Textbücher auch die Komponisten zu einer Einförmigkeit des Stils zwang, aus welchem später die so grundlose Verworfenheit nnd Weichlichkeit der Operumufik entsproß. Es gewährt einen eigenthümlichen Anblick und führt zu sonderbaren Betrachtungen, wenn man sich in die Opernpartitureu jener Zeit vertieft. Mit großer Mühe nur lassen sich charakteristische Unterscheidungsmerkmale unter den bessern Componistcn herausfinden; Textbücher des verschiedenartigsten Inhalts führen fast immer zu derselben scenischen Anordnung; die Melodiesührung ist bei allen dieselbe, und kleine Unterscheidungen finden sich nur in Verzierungs- uud Schlußphrascn, doch sind dieselben ohne Bedeutung. In harmonischer Beziehung wagte man noch weniger; es waren gewisse Grenzen der Reinheit in der Haryionie gezogen, die man nicht zu überschreiten wagte, und wenn dies ja in einzelnen Fällen geschah, so erregte dies großes Erstaunen und die Art, wie man solche Wunder betrachtete, läßt sich unter andern in einzelnen Stellen in Heinse's „Hildegard von Hoheuthal" nachlesen. Das größte Unwesen jener Zeit lag aber in dem Umstände, daß die Oper nur als ein Institut für Concertsänger betrachtet wurde. Der primo uomo und die prima clonn» sicherten sich bei dem Com- ponisten contractmäßig die bestimmte Anzahl Arien. Die Anmaßung derselben ging ost soweit, daß sie sich der dramatischen Action ganz entheben ließen, um aus keine Weise in der Ausübung ihrer Gesangsvirtuosität gehindert zu sein. Nur in seltenen Fällen erlangte der Chor eine active Bedeutung, fast immer sungirte er in Zwischenspielen, er erschien eigentlich nur wegen des musikalischen Contrastcs. Dies war ungefähr der Zustand der italienischen Oper vom Anfang des 18. Jahrhunderts an bis zu der Zeit, in welcher Gluck in Paris erschien. Dort hatte man bisher eine eigene Art der dramatischen Musik gepflegt, cS war die von Lully angebahnte und von Rameau ausgebildete französische Schule. Diese ganz im Gegensatze zur italienischen Schule, welche die getragene Melodie in den Vordergrund stellt, hatte sich in eine dcclamatorische Richtung hineingestürzt, und stand insosern ganz in Uebereinstimmung mit dem Genius der französischen Sprache, der aus Mangel an wirklich prosodischen und melodischen Längen den Accent der Melodie voranstellt. Nach Ramcau's Tode (-I76i) kamen italienische Sänger nach Paris und verpflanzten dahin ihre noch nie oder doch selten gehörte Musik. Die weichen, wollüstigen Klänge, die schön gegliederten Melodien wirkten überraschend, und in Piccini feierte die italienische Musik ihren höchsten Triumph. Bald nach dessen Austreten erschien -mch^ Gluck in Paris.