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Aus Constantinopel.
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das Terrain die Vertheidigung noch mehr begünstigen, wie es dies wirklich thut. In der DobrndsM und der westlichen Bulgarei ist an einen ernsten Widerstand darum nicht zu deuten, falls die Türken ans ihre eigenen Kräfte beschränkt ver­bleiben. Haben sie englische und französische Hilfe zur Hand, so ändert sich die Situation wesentlich. Der Krieg wird dann der Hauptsache nach von diesen beiden Mächten gegen Nußland bestanden werden. Solche Meinung ist im türkischen Volke nicht etwa mißliebig, sie ist populär.Wir werden," hört man auf den Straßen gar oft declainiren,diesen Krieg in Verbindung mit England und Frankreich führen, d. h. diese Mächte werden die Nüssen bekämpfen, und osmanischer Seits schasst man ihren Truppen lediglich was sie gebrauchen." Ich führe dieses absichtlich an, um Ihnen einen Beleg für die herrschende Stimmung zu geben. Russenhaß und Vertrauen auf Frankreich und England sind gleich stark hier.

Ueber die politische Wahrscheinlichkeit des Krieges sprach ich mich bereits aus. Sie ist, denke ick, ungeachtet aller Vorbereitungen und alles Geschreies, dennoch gering. Die Rüstungen werden vermuthlich noch einen halben Monat lang sortgesetzt und inzwischen seitens der Pforte ein außerordentlicher Botschafter nach Wien oder St. Petersburg abgesendet werden, der im schlimmsten Falle so weit gefaßte Vollmachten bekommt, daß er im Stande ist, Rußlands Wünsche zu befriedigen. Alsdann werden England und Frankreich eine Zeitlang mit dem Gouvernement des Padischah grollen, letztlich aber sich dennoch in das Unver- vermejdliche fügen.

Wenn es nun aber dennoch zum Kampfe käme, und wenn England und Frankreich sich an demselben betheiligten?! Dieser letztere Umstand könnte Alles zweifelhast, den Ausgang gänzlich ungewiß inachen. Niemand dürfte im Stande sein, nachzuweisen, welchen strategischen Effect eine westliche Armee, etwa 30,000 Mann Franzosen und Engländer, in Verbindung mit den osmanischen Streitkrästen auf den gegen Süden operirenden Feind in Bulgarien oder Ru- melien hervorbringen könnte. Die zahlreichen türkischen Festungen auf diesem KriegStheater liegen in Trümmern, es ist wahr, aber keine ist so verfallen, um nicht einem russischen Angriffe mindestens Tage lang widerstehen zu können. Das sind gewaltige Stützen für eine Infanterie. Denn man muß nicht vergessen, daß es znm Angriff eines Platzes einer ganz anderen Artillerie als diejenige ist, welche man im Feldkriege gebraucht, bedarf; nämlich einer ungleich schwereren, deren Wirkung nicht sowol auf das Niederwerfen von Truppenmassen, als vielmehr auf die Zerstörung von Mauern und Erdwällen berechnet ist. Wenn 12pfündige Kugeln im Felde die schwersten Geschosse für Kanonen sind, so sind sie vor Festungen noch viel zu leicht, um irgend einen Effect hervorzubringen. Man bedarf dort mindestens 16 und 18pfündiger; aber man zieht diesen die Ai-pfündi- gen noch vor. Also auch diese schlechten Festungen würden eine jede nur durch einen Belagerungspark zu erobern sein; ein solcher Park muß mindestens

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