Contribution 
Julian. Von Joseph Frhr. von Eichendorff.
Page
420
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

I

420

Julian. Von Joseph Frhr. von Eichend orff.

(Leipzig, Simion.)

Vor ungefähr dreißig Jahren erschien von Eichcndorff eine kleine Novelle: Das Marmorbild", in welcher die alte volkstümliche Sage vom Vcnusberg in eine angemessenere Lvcalität verlegt und poetisch idealisirt wurde. Ein deutscher Künstler kam in der Nähe von Rom in einen alten heidnischen Tempel, der sich nächtlich mit den Gestalten, die ihn früher belebt hatten, wieder anfüllte. Die Säulen strahlten in der alten Pracht, phantastische Blumengewinde deuteten irgend ein Fest der alten Götter an, n»d diese selbst traten aus ihren Marmvrbildern lebendig heraus, in aller Kraft der heidnischen Sinnlichkeit und all der jugend­lichen Lebensfülle, wie sie die griechischen Dichter geträumt hatten. Es erfolgte eine jener wilden Orgien, die für die christliche» Vorstellungen ein Abscheu sein mußten. Berauscht schlief der Künstler ein, uud als er erwachte, fand er sich unter zertrümmerten Säulen und Götterbildern, die voll wildem Unkraut und von Giftpflanzen umrankt waren, und welchen selbst das Morgenlicht ein gespenstisches Ansehen gab.

Diese bildliche Darstellnug von der Krankhaftigkeit des ueu auflebenden Heidenthnms hat der alte Dichter in seinem neuen romantischen Epos wieder anfgenommen. Auch hier ist es ein antikes Marmorbild, welches durch ein Wnuder belebt wird, uud die Mensche» zur Süude uud zum Abfall von Gott verlockt.

Das lyrische Talent nnsres Dichters ist noch keineswegs erloschen; die Farben sind ebenso frisch uud lebeudig, wie in seinen früheren Gedichten, uud die Melodie gleitet leicht uud aumuthig dahin. Als eine Probe geben wir den Gesang jenes dämonischen Wesens, das sich unter dem Namen Fausta uuter den Sterblichen bewegt, und von dem wir bis zum Schluß uicht erfahren, wen wir eigentlich vor uns haben, ob eine Göttin oder eine Zauberin, ein Gespenst oder ein Geschöpf mit Fleisch und Blut.

Hörst Du nicht die Quellen gehen Zwischen Stein und Blumen weit Nach den stillen Waldes-Seen, Wo die Marmvrbildcr stehe» In der schönen Einsamkeit? Von den Bergen sacht hernieder, Weckend die uralten Lieder, Steigt die wunderbare Nacht, > Und die Gründe glänzen wieder, Wo Dn's oft im Traum gedacht.