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Wochenbericht.
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scheidung vorzugreifen, und Personen, die noch nie in eine politische Untersuchung verwickelt waren, sogar solche, gegen welche auch jetzt keine Untersuchung eingeleitet ist, öffentlich dnrch die Anschuldigung von Verbrechen zu brandmarken, welche unser Strafrecht mit den schwersten Strafen bedroht. Wenn man es sonst schon als einen wichtigen Rechtsgrundsatz betrachtet, daß man einem überführten Ver­brecher, der seine Strafe verbüßt hat, sein Vergehen nicht vorwerfen dürfe, so fordert man die Befolgung jenes Grundsatzes natürlich mit ganz anderm Rechte dem Angeklagten gegenüber, dessen Schuld noch zweifelhaft ist; und daß man gegen unbescholtene Mäuuer dergleichen Anschuldigungen schleudert, ohne gegen sie ein gerichtliches Verfahren einzuleiten, ist vollends eine ganz abnorme Handlungsweise, die wie ich höre selbst bei solchen Personen, welche sonst alle Handlungen der Behörden zu loben gewohnt sind, das größeste Aufsehen erregt hat. Was die Betheiligten betrifft, deren Ehre durch das erwähnte Decret schwer verletzt ist, so haben einige derselben bereits Erklärungen ver­öffentlicht, in denen sie die betreffenden Angaben des Polizeipräsidenten als wahrheitswidrig bezeichnen und versichern, das sie die zur Wahrung ihrer Ehre erforderlichen Schritte thun werden. Einer derselben, der Stadtrath Runge, gegen deu das Decret die heftigsten Angriffe richtet, ist seit Jahr und Tag von Berlin abwesend.

Ein zweiter wichtiger Punkt in dem Decret ist die Erklärung des Polizei­präsidenten, daß er bei dem Versahren gegen den Gesundheitspflegeverein an die Vorschriften des Vereinsgesetzes nicht gebunden sei. Nach diesem Gesetz hat die Polizei das Recht, Vereine, welche ihrer Ansicht nach gesetzwidrige Zwecke ver­folgen, vorläufig zu suspendiren; sie muß aber innerhalb einer bestimmten Frist der Staatsanwaltschaft von diesem Schritt Nachricht geben und eine, gerichtliche Untersuchung beantragen; dann erfolgt durch Richterspruch eutweder die Aufhebung des polizeilichen Verbots, oder die definitive Schließung des Vereins. Der Herr Polizeipräsident deducirt nun, daß dieses weitläufige Verfahren nur für politische Vereine gelte, und daß er im vorliegenden Falle von der Beobachtung dieser, Bestimmungen entbunden sei, da der Gesnndheitspflegeverein sich nicht in die Kategorie der politischen Vereine gestellt habe. Er verfügt also sofort die defi­nitive Schließung desselben. Die Existenz nichtpolitischer Vereine ist also bei uns, nach dieser Praxis, noch viel weniger geschirmt, als die politischer; bei diesen ist zu ihrer definitiven Auflösung wenigstens ein Richterspruch erforderlich, bei jenen genügt ein polizeiliches Decret.

Diese seltsame Ausfassung, welche eiuen neuen Beleg für die wachsende und Alles erdrückende Macht des Polizeiregiments liefert, gab dem Abg. Wentzel Veranlassung, in der heutigen Sitzung der zweiten Kammer an das Staats­ministerium die Frage zu richten, ob es von dem polizeilichen Decret Kenntniß genommen habe, und welche Schritte es in Bezug auf dasselbe zu thun gedenke.