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auch wir hervorheben, daß man im Ausland von der Stellung und dem Einfluß politischer Flüchtlinge iu der Schweiz ganz falsche Vorstellungen sich macht. Selbst diejenigen Ausländer, welche freiwillig die Schweiz zu ihrem zeitweiligen oder dauernden Aufenthalte gewählt haben, auch diejenigen nicht ausgenommen, welche vielleicht gar nur einer Bernfung, etwa als Glieder des Lehrerstandes an Universitäten und Cantonsschulen gefolgt sind, gelangen bald uud oft durch sehr bittere Erfahrungen zu der Ueberzeugung, wie zäh der Schweizer und die schweizerischen Parteien eine bestimmende Einwirkung des Ausländers auf den Gang der Ereignisse und die Bahnen ihrer Bestrebungen zurückweisen. Zwar man mcht recht gern die oft überlegene geistige Befähigung und das energische Pathos des Fremden auch aus der Nation, aus deren Tiefe, wie Hölderlin singt, die Fremden ihr Bestes haben — aber wenn dann der Ausländer glaubt, aus den Rücken der Schweizer eine feste oder gar beherrschende Stellung gewonnen zu haben, sieht er sich plötzlich ausgelacht, verbraucht und wie eine ausgequetschte Citrone bei Seite geworfen. Und nun gar der nichts weniger als willkommene Flüchtling! Wie bald erfährt er, daß er sich recht glücklich schätzen kann, wenn man ihn ruhig und unbehelligt sein einsames Leben führen läßt und die ausländischen, niedergelassenen Familien ihm den Zutritt in ihr Haus offen halteu. So ist es entschieden in der ganzen nördlichen, mittleren und östlichen Schweiz und man hat Alles zugestanden, wenn man für das etwas kosmopolitischere Zürich eine kleine Ausnahmstellung zugiebt. Auders verhält es sich freilich bis zu einem gewissen Grade in der südwestlichen französischen Schweiz und in dem Canton Tes- sin. Daß in Genf, in Wallis, im Waadtlande etwas couragirtere Hitzköpfe wohnen uud mehr uoch sprechen und schreiben, ist eine hier altbekannte Wahrheit. Abstammung, Sprache, Sitte, die ganze geschichtliche Vergangenheit läßt noch heute dort wie vor vielen Hunderten von Jahren die verhältnißmäßige Unwichtigkeit der oft unterbrochnen Grenzscheide zwischen dem niedern und dem hohen, dem cisjurani- schen und transjuranischen Theile des alten Burgundionenreiches erkennen. Dort ist denn auch der Widerwille gegen das „Reich", gegen Deutschland und jede dasselbe repräsentirende Macht eine alte Erbschaft. Dennoch ist es eine Ueberzeugung, daß in den gegenwärtig mit cchtfranzösischem Pathos von dort her gegen Oestreich geschleuderten Kriegserklärungen, in dem beleidigenden Hohn gegen die „^Mi'ieKisns" eine gute Portion ausländischer Maschinerie wirksam ist, welche namentlich in dem Hinblick auf die Eveutualitäten im Bosporus ihre Hebel in Gang setzte. Denn es steht doch kaum zu erwarten, daß iu Genf oder Lausanne jene perfiden Andentungen, mit welchen das Journal ües vedats die sanguinischen Hoffnnngsblicke nach Paris hin beantwortete — es werde der ueue Napoleou für den Fall, daß Oestreich in Tesstn sich mit Soldaten niederzulassen gedenke, zur Herstellung des Gleichgewichts im Westen die Jnragrenzeu nicht mehr natürlich finden können — einen so äußerst geringen Eindruck hervorgebracht haben sollten, wie iu der gesammten deutschen Schweiz.