8»
Neuigkeiten der englischen und französischen Literatur»
Es ist bemerkenswert!), welchen Eifer gegenwärtig die französische Kritik auf die gleichzeitige englische Literatur verwendet. Fast jedes Heft der Kovus üe äsux monävs bringt einen, in der Regel gnt geschriebenen Artikel über irgend eine neue Erscheinung der Poesie jenseit des Canals. Das neueste Heft enthält eine mehr als zwei Bogen starke Abhandlung über die beiden Romane Villetts und .die wir gleichfalls vor einigen Wochen besprochen haben. Currer
Bell wird als Typus des protestantischen, Lady Fnllerton als Typus des katholischen Geistes in der Poesie dargestellt; wir dürfen nicht erst hinzusetzen, welcher vvu beiden der französische Kritiker den Vorzug giebt. Wir erfahren übrigens daraus, daß Lady .Georgiana Fullerton die Tochter des Grafen von Grenville ist, der sich lange Zeit als englischer Gesandter in Paris aufgehalten hat.
Die Reihe schriftstellerischer Fraueu, die wir im vorigen Artikel aufgezählt haben, köuuen wir heute mit zwei neuen Namen bereichern. In der Tauchuitzer Ausgabe sind so eben zwei neue Romane erschienen: „Daisy Burns" von Julia Kavcmagh und „Ms vauxdtsr" (des Dechanten Tochter) von
Mrs. Gore. Die erste der beiden Damen hat sich früher durch den sehr beliebten Roman „Nathalie", die zweite durch die zierliche Skizze, „La-Mes m tke ^.ir" (Lustschlösser) bekannt gemacht. Die erste erinnert in der Anlage ihrer Charaktere, in der Erfinduug der Handlung, in der kurzen, knappen Darstelluugsweise, in dem Verhalten des Gefühls, kurz, iu der ganzen Atmosphäre ihres Denkens und Empfindens so lebhaft an Currer Bell, daß wir uns leicht versucht fühlen könnten, den Roman auf Rechnung derselbe» zu schreiben, wenn sich nicht in der Manier hin und wieder Proben fänden, daß wir es mit einer Nachahmung zu rhuu hätten. Daisy (Gänseblümchen) ist der Scherzname für Margarethe. Die Heldin ist, wie Lucy Snowe, ein armes, verlassenes aber charakterfestes Mädchen, das von einem jungen, sorglosen, gutmüthigen Manu erzogen wird, und sich in Folge dessen in ihn verliebt, während diese Liebe, wenigstens für den Anfang keine Erwiederung findet. In der weiteren Ausmalung dieses Verhältnisses sind, wie bei Currer Bell, sehr viele eigenthümliche und interessante Züge, die aber aus zu eifrigem Streben nach Originalität in's Unwahrscheinliche übergehn, oder wenigstens sehr nahe daran streifen. Es ist zu fürchten, daß diese Figuren mit warmen Herzen nnd kalter Außenseite, deren Erfindung eine wirkliche Bereicherung der Poesie war, allmählich in's Typische und iConventionelle übergehu, nnd dann alle Fehler der romantischen Charaktermasken, mit noch, einigen humoristischen Zuthaten an sich tragen werden. Uebrigens ist der Ton uud die gauze Haltung der Erzählung gutmüthig, heiter, ohue eineu Auflug von Weltschmerz. — Bitten Grenzboten. II. 12