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Lady Tartuffe von Mdm. Girardin.
Dies Stück bat zwar lange nicht den Erwartungen des von der Neclame in Voraus erhitzten Publikums entsprochen, ist aber doch von großer Anziehungskrast auf die Theaterliebhaber, und was man in Paris daran tadelt, ist nicht gerade das, was die deutschen und fremden Kritiker daran unwürdig finden werden.
Mlle. Blossac ist eine alte Jungfrau, die von der Jungfrau nur das Bestreben hat, sich zu verheirathen, und trotz ihrer bedeutenden Ueberreste früherer Schönheit schon die Devote spielt, boshaft ist wie eine alte Jungfrau, coquett, ehrgeizig, neidisch, wollüstig, verliebt und romantisch verliebt, was sie nebenbei nicht verhindern soll, so will es die Verfasserin, positiv, diplomatisch berechnend, verschlagen und kalt zu sein wie ein Jesuit.
Lady Tartuffe, deren Vergangenheit gefährlichen Sccmdal und sehr com- promittirende Liebessünden zu verrathen droht, hat sich eine „Position" gemacht, indem sie sich selbst zur Wittwe umgeschaffen und als Gründerin mehrerer Wohl- tlMgkeitöcmstalten, Besucherin aller Messen und intime Freundin ihres Mieth- herru, des Marschall von Estigny, die Achtung alter Betschwestern und einer gewissen Anzahl von Einfaltspinseln erworben. Der Marfchall, der als alter Junggesell und von der Gicht geplagter Diplomat ganz geeignet ist, in die Falle einer so gottesfürchtigen und mit verhülltem Busen einhertrippelnden Maintenon zu gehen, verliebt sich in sie und will sie heirathen. Seine Nichte, die Gräfin Clairemont, und deren junge Tochter, die kleine liebenswürdige, unschuldige Jeanne, sind das einzige Hinderniß, denn Jeanne soll den Sohn eines Jugendfreundes des Marschalls heirathen, Hector Grasen von Rennesville; der alte Diplomat bekäme dadurch eine nene Familie, seine Gicht Pflege und seine diplomatische Redseligkeit Zuhörer genug. Mlle. de Blossac muß die Heirath verhindern, ihr ganzes LebenSglück hängt davon ab, denn sie hat noch überdies das Unglück, diesen Hector von Rennesville aufs Leidenschaftlichste zu lieben, zu lieben wie die reinste Jnngfrauenseele. Diese Liebe war Ursache, daß sie vor einigen Jahren „pg,r clöM" seiuem Freunde Arthnr sich hingab, der in der Nacht aus ihrem Fenster springend, sich mit seinem Jagdgewehre zn Tode verwundete, ohne daß die edle Dame ihrem verröchelnden Geliebten zu Hülfe gekommen wäre; I'amour äs ma rerMatiorr verhinderte das. Ein Herr Tourbieres weiß von dieser Geschichte, aber Fräulein Blossac hat diesem Taugenichtse 20000 Franken geborgt und so dessen Stillschweigen uud Mitschuld für ihr ferneres Leben frommer Scheinheiligkeit erkauft. Herr Tourbieres soll von der künftigen Marschallsfrau noch zum Präfekten ernannt werden, und diese Aussicht knüpft ihn an diese Frau fest, die dieser Mann, qui a üs 1'espnt et äu oosur, im Grunde haßt. Er soll nun mithelfen, die Heiratt) rückgängig zu machen, sein