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Ausgestellte Gemälde in Leipzig.
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Grasen Egmont fällt daraus hervor. Im Hintergrunde links zündet ein Mönch vor einem kleinen Altar eine Kerze an; rechts im Vordergründe nähert sich die Schützengilde den beiden Leichnamen, eine Reihe charakteristischer Gesichter, vom ritterlichen Führer bis zum feisten Spießbürger und schwachen Greise herunter, und betrachtet die Leichname ihrer beiden Helden mit verschiedenen Ausdrucken der Theilnahme. Bei Einem überwiegt der Zorn und der Haß, beim Andern das Mitleid, beim Dritten die Verzweiflung. Links, unmittelbar hiuter den Leichnamen, stehen zwei Spanier, ein Kriegsmann und ein Diplomat, die den Em­pfindungen der Niederländer einen herausfordernden Widerstand entgegensetzen. Die Gruppe ist nach allen Seiten hin klar, einfach und verständlich.

Was nun zuerst ausfällt, ist die wuuderbare Virtuosität der Technik. Ein so freies Heraustreten der Körper, eine so in allen Punkten glänzende Versinn- lichung der Materie, ohne alle Spur ängstlicher Detailmalerei; die größte Freiheit und Elasticität in den Bewegnngen, und doch in allen diesen Farben und Linien ein strenger Styl, eine vollständige Beobachtung des Gesetzes der Harmonie; alle diese Eigenschaften finden sich in einem Grade, wie sie kein anderes Bild der neuern Zeit zeigt. Wenn man erfahren will, was für eine Poesie in dem materiellen Theil der Malerei liegt, so muß man dieses Bild stndiren.

Aber das Verdienst des Malers geht noch höher hinauf. Es ist in all diesen Köpfen eine Charakteristik und ein geistiger Ausdruck, wie man ihn in den Werken der früheren Niederländer, die in der Technik die gleiche Stufe der Vollkommenheit erreichten, selten findet. In jedem dieser Portraits steckt eine vollständige Geschichte, und doch wird der Charakter vom Eindruck des Moments vollständig beherrscht. Diese Fülle des Charakteristischen, die sich doch der un­mittelbaren historischen Bewegung vollständig fügt, da die Seelenbewegnng bei allen Einzelnen sich aus einen bestimmten Mittelpunkt concentrnt, verräth eine Meisterschaft in der Kunst der historischen Malerei, die auch das Größte bewäl­tigen wird. Wir übernehmen es gar nicht, auf die Details einzugehen, denn hier würden wir kein Ende finden; wir machen nur auf den dicken Bürger auf­merksam, bei dem die Rührung die unermeßliche Fleischmasse durchbricht und eine Thräne ans das fette Gesicht lockt;'ans den alten Mann, der vor dnmpfem Schmerz in sich selber zusammenbricht, so wie auf der andern Seite auf den Diener der spanischen Politik, in dessen nicht unschönem, aber verschlossenem Gesicht man die Gluth des kalten Hasses hindurchschimmern sieht, der sehr bestimmt weiß, um was es sich handelt, während bei seinem kriegerischen Gefährten nur der blinde, trotzige Dienst des Soldaten hervortritt.

Nuu aber zu der Kehrseite. Wie ist es überhaupt möglich, einen so ab­scheulichen Gegenstand zu malen! uud wie ist es einem so poesievollen Künstler wie Gallait möglich! Der Gegenstand, auf den sich der Blick gezwungen fort­während zurückwendet, so sehr er sich auch anstrengt, ihn zu verlassen, sind die