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Berliner Eindrücke
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heilen des Ballets, repräsentiren uns eine Reihe der anmnthigften Erscheinungen; aber sie spielen alle das nämliche Rollenfach und scheinen kaum über diesen Kreis hinaus verwandt werden zn können. Eine junge Heldeuspielerin ist nach dem Tode der Frau Thomas nicht vorhanden. Außerdem scheint es Styl zu sein, daß nicht gern eine von diesen Damen in einer untergeordneten Rolle auftritt; diese muß dann durch zweite oder dritte Kräfte besetzt werden, nud so kommt selbst bei unbedeutenden Stücken kein gutes Ensemble heraus. Daraus geht nebenbei der Uebelstand hervor, daß diese Damen,.wenn nicht ganz besondere Zeitumstände eintreten, nnr, sehr selten beschäftigt werden. Nun muß ich freilich hinzusetzen, daß der gegenwärtige Zustand nur ein provisorischer genannt werden kann, weil auch die klciusteu Jntriguenstücke während des AnSbaues» des Schauspielhauses in dem nnendlich großen Opernhaus gespielt werden, wo an ein feines Spiel nicht zu denken ist. In der Oper ist das weibliche Personal so musterhaft, wie man es bei einem großen denlschen Theater nur verlangen kann. Fränlein Wagner, Fran Köster, Frau Herrenbnrg - Tuczeck neben einander, und dazu noch eine gnte Zahl zweiter Kräfte, die zum Theil in ihrer Art ganz vvnrefflich sind, das läßt kaum etwas zu, wünschen übrig. Unter den Sängern dagegen begegnen wir außer Herr» Krause eigentlich »ur Mittelmäßigkeiten; denn die G>ößen der alten Zeit, Herr ManliuS und Herr Ziesehe, sind kaum mehr zu rechnen. Die Krone der Berliner Darstellung bleibt noch immer das Ballet, trotz der Ein­schränkungen, die man seit 18i0 darin hat eimreten lassen. Man mag gegen dieses zweifelhafte Genre der Kunst noch so sehr eingenommen sein, und auch ich rechne mich in dieser Beziehnug zn den Ungläul'igen, so wird man eine mit so fal'elhafter Pracht ausgestattete und mit so viel Aumuth ausgeführte Darstellung, wie die der Satanella, doch immer mit einigem Interesse ansehen. Fräulein Marie Taglioni rivalisirt auch in diesem Augenblick um die Begeisterung des Berliner Pnblicnms, welches immer einen neue» Gegenstand verlangt, und seine Trene nicht lange bewabrt, ganz.entschieden mit Fräulein Johanna Wagner.

Ich fing meine Skizzen mit der Behauptung an, daß Berlin Alles in Allem betrachtet eine schöne Stadt sei, und ich schließe mit der Anficht, daß die Berliner anch ein sehr liebenswürdiges Völkchen sind. Ganz gewiß erfreut sich Berlin eines größern Fonds an Narrbeit, als irgend eine andere Stadt des Continents, Paris nicht ausgenommen, und die Fremdlinge, die es nach Leipzig ans die Messe schickt, sind wol »nter Allen am wenigsten dazu geeignet, den Sachsen eine vor­theilhaste Borstellnng beizubringen, aber man braucht nnr die Physiognomien zu beobachten, die sich ans der Straße herumtreiben, so findet man so viel Be­weglichkeit, Durchtriebenheit, Anmnrh und gute Lanne, daß man das Geschäft deö Flanircns mit einem gewissen Interesse treibt. Wer wäre wol im Stande, in Dresden oder Leipzig zn flauiren! In einem frühern Aufsatz,' Ihres Blattes war der Mangel an Solidität bei den Berlinern hervorgeboben, und ich will anch