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die griechischen Fvrmen zurückgehen solle, das war eine Frage, um die sich die antiromantischen Philosophen und Historiker des Jahres 1838 u. s. f. wenig kümmerten. Es tag ihnen nur an dem sittlichen Geist, der sich in der Poesie auSsprach, und da ist es allerdings eine mehr als sonderbare Behauptung, wenn Ulrici seinen Gegner geradezu Mit Gottsched zusammenstellt, weil Beide ans die ethische Seite der Poesie ein besonderes Gewicht legten. Das hat nnter Anderen Schiller anch gethan, der darum noch kein zweiter Gottsched ist, nnd das wird jeder Aesthetiker thun müssen, der nicht durch eine fixe Idee aller Sinne beraubt ist, denn da alle Poesie, namentlich aber die dramatische, es mit dem Handeln nnd Leiden der Menschen zu thun hat, nnd für das Eine wie für das Andere Ujffer Mitgefühl zu erregen sucht, so kann sie dies nicht anders als dadurch, daß sie den einzelnen Fall, den sie nns darstellt, mit den Regeln und Begriffen des uns'angeborenen sittlichen JnstinetS in Verhältniß bringt. Die Griechen haben das einfacher gemacht, indem sie durch den Chvr.daS Publicnm gewissermaßen bevormundeten. Aber jeder Dramatiker ist in der Nothwendigkeit, wenn er auch dieses äußerlichen Hilfsmittels entbehrt, wenigstens indirect das Nämliche zn thun; denn ohne uns ein stillschweigendes sittliches Urtheil über das, was geschieht, zn bilden, können wir auch keine Theilnahme dafür empfinden. Daher hat auch Mit Ausnahme der Exercitienschreiber, z. B. des romantischen Herrn v. Schütz, jeder Dramatiker, in welcher Zeit nnd in welchem Volk er anch lebte, immer auf das sittliche Bewußtsein seines Publicums speculirt; ein Bewußtsein, das zn verschiedenen Zeiten sehr verschieden, ja entgegengesetzt sein konnte. Wenn daher jene Philosophen und Historiker für Shakespeare Partei nahmen, während sie Calderon u.s.w. verwarfen, obgleich Beide unter dem Collectivbegriff Romantiker zusammengefaßt wurden, so waren sie in ihrem vollsten Recht. Man nehme die specifisch romantischen Stücke, d. h. diejenigen Stücke, in denen sich das Vorurtheil nnd der Fanatismus gegen den wirklichen Geist der modernen Zeit, gegen den Geist des Protestantismus verstockten (denn das eigentliche Mittelalter, welches in seinen Vorurtheilen noch naiv war, nennt man mit Unrecht romantisch), z. B. Lope de Vega'S „Stern von Sevilla", Caldcron's „Andacht zum Kreuz", aus neuester Zeit Werner's „Attila" und „Sohne des Thals", und als Ergänzung dieser supranaturalistischen Anschauungsweise etwa Macchiavell's „Fürst", so weht uns ans allen diesen Schriften'ein Geist entgegen, den wir als einen entsetzlicher,, verruchten, der Menschheit feindseligen verurtheilen nnd verabscheuen müssen. Wenn wir die romantische Dilettantencliqne mit so großer Leidenschaft bekämpft haben, so geschah das vorzugsweise wegen ihrer feigen und eoqnetten Toleranz gegen das absolut Schlechte und Abscheuliche; eine Toleranz, die nur ans dem vollständigen Verlust der eigenen Sittlichkeit zn erklären ist. Man mag immerhin in zweiter Linie die glänzende Technik Calderon's bewundern, man mag ihm als dem vollendeten Anödruck des nationalen Bewußtseins eine relative Rechtfertigung
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