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Charakterbilder aus der deutschen Restaurationsliteratur : Ludwig Achim von Arnim. 2.
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Die Volkslieder aus des Knaben Wundcrhorn haben die eigentliche Blüthe unsrer neuen Lyrik gezeitigt; was Beachtenswerthes in dieser Art erschienen ist, hat den nämlichen Tvn angeschlagen. Aber auch die neumodische Arabcskeupoesie rührt daher, das kindische Getändel mit wnuderlicheu Formen ohne irgend welche Rücksicht auf den geistigen Inhalt. Diese Spielereien haben auf unser Gemüth sehr schädlich eingewirkt.

Im engen Zusammenhang mit jener Liedersammlung stehen die Märchen- und Sagensammlnngeu, deren sich bald die wirkliche Gelehrsamkeit bemächtigte, und die für die Kenntniß nnsres VvlkSgeistes eine d.er wichtigsten Quellen ge­worden sind, wenn auch die Copie die sreie, geniale Weiterbildung des Originals unmöglich gemacht hat; stehen ferner die Auffrischungen alter VolkSromane und Puppenspiele im Renaissance-Geschmack, von denen Arnim 1809 unter dem Titel Wintergarten" eine Sammlung herausgab, durch eine närrische Allegorie dürftig zusammengehalten, uud mit neuen Erzählungen im Geschmack jenes alten Styls durchwebt. Die naive Armnth und Unbehilflichkcit der Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts, das Eckige oder gar Falsche der Zeichnung, die natürliche Eigenschaft einer mangelhaften Technik, wird absichtlich nachgemacht, um etwas Kindliches, Unschuldiges, Ursprüngliches wieder hervorzurufen. Indessen würde man doch irren, wenn man diese Erzählungen für interesselos oder durch­aus unpoctisch hielte. Es sind Gemälde darin im Sinn der niederländischen Schule, die in Beziehung ans derbe Realität nnd ans die Mannichfaltigkeit der Fignren einen großen Werth haben. Arnim hat das Leben, welches er schil­dern will, wirklich bis in's kleinste Detail studirt, er hat sich mit allem Aufgebot der Phantasie in die geschilderte Zeit vertieft. Wir können gleich die spätern Novellen mit dazu nehmen, denn eine innere Entwickelungsgeschichte ist kaum bei ihm nachzuweisen. Die Zeit, die er vorzugsweise schildert, ist die ehrsame Periode der Zünfte. Sein ciuserwähltes Volk sind die Holländer, deren närrisch verstän­diger Sinn, deren durchgebildete Dctaileuipstndung und deren prosaisch groteske Beschäftigung seinem Humor den angemessensten Stoff geben. Dahin gehören z. B. die beiden Erzählungen:Holländische Liebhaber" uud die drei schönen Schwestern und der glückliche Färber". Es ist in diesen Erzählungen ein Realismus, wie wir ihn in Deutschland gar nicht gewohnt sind, eine bunte nnd grelle Mannichfaltigkeit der Farben, selbst hinter öen grotesken Formen eine gewisse Gemüthlichkeit, aber doch tonnen sie uns nicht befriedigen, denn es fehlt in der Erzählung wie in der Charakteristik alle Idealität; wir wissen nicht, warum wir uns für die Einen oder für die Anderen interessiren sollen, nnd dieses Interesse zu erwecken, ist allerdings die Aufgabe des Dichters, denn wenn er uns blos die reale Welt geben wollte, so wäre seiue ganze Poesie von Ueberflnß. Auch der Humor, wenn er die scheinbaren Gegensätze der Welt in einander ausgehtt läßt, kann dies nur durch die Andeutung eines höhern dichterischen Standpunktes recht-