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Wochenbericht.
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veröffentlicht, in dem er seine bekannten gemäßigt constitutivncllcn Ansichten sowol kritisch zur Beurtheilung der jüngst vergangenen Geschichte als zur Anknüpfmig neuer Verhält­nisse verwerthet. Gioberti ist ein sehr wohlgesinnter und verständiger Schriftsteller, der sich von deu Uebertreibungen einer maßlosen Demokratie und eines gedankenlosen Abso­lutismus gleichmäßig entfernt hält; aber er ist sanguinisch wie alle Italiener. Wie schlimm es auch in Deutschland in Bezug auf seine staatliche Einigung bestellt ist, in einer Beziehung wenigstens ist Italien noch schlimmer daran: es leidet unter den Ein­flüssen eines geistlichen Regiments. Die Unverträglichkeit des Papstthumes mit dem Libe­ralismus hat das Beispiel Pins IX. vollkommen bewiesen. So lange die weltliche Gewalt des Papstes nicht aufgehoben ist, kann Italien an eine constitutionellc Ent­wickelung nicht denken, und da die Aufhcbuug dieser Herrschaft nicht blos von der reli­giösen Stimmung des italienischen Volks, sondern auch von den Combinationen der allgemeinen europäischen Politik abhängt, so ist eine Entwickelung Italiens im Sinn des liberalen Fortschrittes fast außerhalb aller Grenzen der Möglichkeit. Das hindert freilich nicht, im Einzelnen vieles Gute zu erreichen, aber bei diesem wird sich wieder die lebhafte und zu Abftractioncn der Politik nur zu geneigte Natur der Italiener nicht befriedigen lasseu.

England und Schottland. Ncisetagebuch von Fanny Lew ald. Zwei Theile. Braunschweig, Vicweg u. Sohu. Die Verfasserin hat durch ihr Buch über-Italien gezeigt, daß sie gut zu beobachten und lebhaft darzustellen weiß. Beide Vorzüge finden sich auch in diesem Werke wieder. Aber sie war dieses Mal in einer ungünstigeren Lage. Denn um englische Verhältnisse gnt darzustellen, braucht mau mehr, als ein ehrliches Gesühl, Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, hübsch zu plaudern, zumal, wenn man das deutsche Bestreben hat, von der Oberfläche der Dinge abwärts nach ihrem Grunde zu forschen. Auch die Verfasserin knüpft an ihre Beobachtungen zahlreiche Urtheile und weitere Reflexionen, und dabei passirt es ihr zuweilen, daß der Leser ihr die Vorrechte eine? Dame einräumen muß, in politischen und industrielle» Dingen unverantwortlich zu sein. Einzelne große Partien des Werkes sind daher sehr interessant, alle die, wo solche Eindrücke geschildert werden, welche eine gebildete Frau durch die gesellschaft­lichen Einrichtungen, die Physiognomie eines fremden Landes und seiner Bewohner er­hält, ebenso sind die Beschreibungen kleiner Tagcsbcgcbcnheitcn, Natnrschildernngcn u.s.w. Andere Kapitel sind verhältnißmäßig schwach, zumal die Verfasserin nicht frei von der schlechten Touristen-Gewohnheit ist, die Eindrücke und Empfindungen der einzelnen Tage in ziemlicher Breite künstlich zn rcvroducircn, wobei manches Ucberflüssige nnd Uninter­essante unterläuft. Für den gesunden Blick und guten Fond der Schriftstellerin spricht, daß ihre Würdigung Englands im Ganzen sehr richtig ist/und daß sie mit Wärme und Begeisterung das Große und Schöne im Leben dieses Staates zu erfassen sucht. Von einer gewissen UnVollständigkeit ihrer eigenen politischen Bildung zeugeu dagegen wieder unzweckmäßige Betrachtungen; so ist es nicht zu löben, daß sie in ihr Buch Ausfälle gegen. Gagern und seine Partei aufgenommen hat. Wenn sie selbst durch den Kreis ihrer näheren Bekannten zufälliger Weise dahin gekommen ist, sich cine.Dcmo- kratin zu ncuuen, so wird Niemand so unartig sein, ihr darüber etwas Unangenehmes zu sagen; wenn sie aber die Partei-Feindseligkeiten ihrer Freunde öffentlich zu den ihrigen macht, so ist das in diesem Neiscbuchc zum mindesten unuöthig gewesen. So