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sich für Alles, was die Wähler wünschten, wenn dadurch nur ein Sitz zu gewinnen war. Selbst Mitglieder des Cabinets wechselten in Erklärungen für den Freihandel und die Einführung der Kornzölle, für und gegen Maynooth, ja, Einige wagten sogar eine Erweiterung des Wahlrechts in Aussicht zu stellen. Doch scheinen die leitenden Personen des Cabinets den Schutzzoll definitiv aufgegeben zu haben. Ob in diesem Falle ihnen ihre Partei treu bleibt, ist freilich eine sehr große Frage.
ZNllsl'k. — Die Leipziger Bühne brachte in der vergangenen Woche eine neue . vieractige, romantische Oper Paquita, von I. Dessauer, das Buch von Otto Prechtler nach einer französischen Erzählung. Dessauer's Name und Talent ist in Süddeutschland wohlbekannt; seine Lieder sind gesucht und geschätzt, seine früheren dramatischen Arbeiten sind nicht ohne Beifall über die Breter gegangen, und feine Jnstru- mentalcompositionen stehen häufig auf Concertprogrammcn. Das Kunstlcbcn in Nord- und Süddeutschland ist aber noch so sehr geschieden, daß der dort Jedermann geläufige Name bei uns fast unbekannt ist. Unter den wenigen Musikern, die sich speciell mit der neu erscheinenden Literatur beschäftigen, hatte sich ohngefähr folgendes Urtheil über ihn gebildet: er sei ein erfahrner und gewandter Musikus, wohlunterrichtet in den ernsten Künsten, in feiner Erfindung aber nicht hervorragend und nur dann glücklich, wenn er leichtere und freundlichere Stoffe bearbeite. Darum seien seine Versuche, ernste Motive zu erfinden und zu behandeln, nicht immer glücklich ausgefallen, weil eincstheils die Reflexion zu sehr vorwalte, aus der andern Seite sein Naturell nur mit Mühe in dieser Richtung auszubauen, vermöge. Dieses Urtheil hat die eben gehörte Oper nicht widerlegt. Es ist Dessauer ergangen, wie beinahe allen bekannteren süddeutschen Opern- componisten. Ihr erstes Streben geht dahin, den gründlichen deutschen Musiker in den Vordergrund zu stellen, aber es wird ihnen zu schwer, diesen Zwang lange zu ertragen, Plötzlich brechen sie ab, werfen die Maske von sich nnd stehen nun da in ihrer wahren Gestalt, heitere und sorglose Künstler, die ihre Menschenfreundlichkeit unwiderstehlich antreibt, auch den Laien und bloßen Sinncngenuß Suchenden, in allen- seinen Bedürfnissen zu befriedigen. Fast alle unsere neuen deutschen Opern leiden an diesem Zwitterwesen, wir nehmen nur die Werke einiger Norddeutschen davon aus, die allerdings in ihrem ganz entschiedenen Ernste und ihrer absichtlich gezeigten Solidität nur einen einzigen Eindruck, und zwar den der Pedanterie hervorbringen. Unser Opernschematismus reizt die Componisten. zu dem angedeuteten widerspruchsvollen Verfahren. Die herkömmlichen Gebete, Romanzen, Trinklieder und wie sonst alle diese Stückchen heißen, werden als Effcctstückc der Oper betrachtet. In ihnen conccntrirt der Componist alle ihm zu Gebote stehende Liebenswürdigkeit; bei ihrem Schaffen leitet ihn die Absicht, die vortragenden Sänger und das große Publicum zugleich zu gewinnen. Oft genug ist der Werth oder Unwerth einer Oper nach dem Gefallen dieser Kleinigkeiten entschieden worden, denn die große Menge, aus den Musiksalons durch die übermäßig cultivirte Liedcrliteratur verwöhnt, nimmt nur wenig Antheil an den rein dramatischen Stücken, sondern concentrirt alle seine Aufmerksamkeit auf den Vortrag dieser lyrische» Nippcs. Die Liederlichkeit beim Schaffen dieser Lieblingsstücke, und aus der entgegengesetzten Seite die schwülstige Behandlung des rein dramatischen Theils, sind als die Hauptursachen des Mißlingens der neuesten dramatischen Werke anzusehen. Dort eine Menge unnützer Tändeleien und Trivialitäten, hier ein Aufschrauben des Gesühls in falsche, unmotivirte Stimmungen,