Beitrag 
Neueste englische Literatur : Thomas Carlyle, geb. 1796.
Seite
219
Einzelbild herunterladen
 

N9

Neueste englische Literatur.

Thomas Carlyle, geb. 1796.

Unter sämmtlichen Schriftstellern des jungen England ist kaum einer, der einen so ausgebreiteten Einfluß ans die Literatur ausgeübt hätte, als Carole. Dieser Einfluß ist aber ein ganz anderer gewesen, als er selber beabsichtigt hat. Er kommt mehrmals darauf zurück, daß er eigentlich die specifische Literatur und Knust sehr gering schätze, daß ein geistreicher Mann immer etwas Besseres thun könne, als Bücher schreiben, und daß nnr die wirkliche Welt, die Welt des Handelns, für ihn Interesse habe. Auf diese Welt hat er aber nie mich nur den geringsten Einfluß ausgeübt. Er hat sich von dem Anfang seiner literarischen Laufbahn an bis in die neueste Zeit hin, fortwährend mit den Tagcsfragen be­schäftigt und sie ans eine eigenthümliche Weise zu beleuchten gestrebt; aber von seinen Ideen ist keine zur Ausführung gekommen, ja es hat sich nicht einmal eine Partei gefunden, die für sie ins Feld ginge. ^ Der Grund ist der, daß seine Ideen nicht systematisch ausgearbeitet und mit Berücksichtigung aller Umstände klar hingestellt waren, sondern sich stets im Reiche der Wünsche, der Ahnungen und Visionen bewegten. Durch dergleichen gewinnt man zwar zahlreiche indi­viduelle Sympathien, aber man gründet keine fruchtbare politische Partei. Da­gegen sind von den neuesten Schriftstellern, wenn wir die gnte altenglische Schule ausnehmcn, die meisten mehr oder minder von seinem Geiste instcirt. Sie weissagen, sie zweifeln, sie zürnen und sie trauern wie er, und dabei versäumen sie keine Gelegenheit, vom Standpunkt ihres unaussprechlichen Idealismus aus, der Sprache ebenso Gewalt anzuthun, als ihr Meister. Das gilt nicht allein von seinen eigentlichen Anhängern, von Kingsley, Maurice bis zu Thackeray und Cnrrer Bell hinunter, sondern auch von Schriftstellern, die scheinbar einer ganz andern Richtung angehören, z. B. von Israeli und Bulwer, diesem Zwillings­gestirn des jungenglischen Torismus. Auch sie haben von Carlyle gelernt, jeden Gegenstand von Gesichtspunkten zn betrachten, die ihm ein unmögliches, unglaub­liches Licht geben,und ihren Geist auf Irrfahrten zu schicken, mit dem behag­lichen Gefühl, daß er durch seine eigenen Erfolge überrascht werden muß, weil' er'niemals weiß, wohin er geht.

In srüherer Zeit betrachtete man als das wesentliche Erfordernis; einer guten Prosa, daß ein genauer, scharf abgemessener Gedankengang sestgehalten wurde, aus dem sich das Resultat mit Nothwendigkeit ergeben mußte, sowie seiner­seits der Weg durch das Resultat bestimmt wurde. Die musterhaften Schrift­steller aller Zeiten und Völker haben dieses' Gesetz beobachtet. Diese Klarheit und Einfachheit ist neuerdings in Verruf gekommen, und man hat sie mit Nüch-

.28*