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Das Musikfest zu Ballenstedt.
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uns doch in falsche Bahnen gelenkt, sie hat die nationalen Kräfte dem nationalen Leben entzogen, und eine unsichtbare Kirche des Schönen hervorgerufen, die zuletzt aus Mangel an allem natürlichen Fundament einstürzen mnßte. Der Erfolg würde bei allen übrigen Künsten ein ähnlicher sein. Wir zweifeln gar nicht, daß > auch in der Musik durch die Concentrativn aller, Kräfte in einem bedeutenden Mittelpunkt, wo die Künstler zugleich das Publicum und den Gerichtshof bilde­ten, manches Geistreiche hätte hervorgerufen werden können, das unter anderen Umständen nicht zu Tage gekommen wäre; aber es wäre dadurch der schon über­großen Neigung unserer Künstler, nur für sich selber zu schaffen, ein übermäßiger Spielraum gegeben. Das Sprichwort: die Kunst geht nach Brod, ist gar nicht blos in ironischem Sinn zn verstehen; es ist vielmehr die reale Bestimmung der Kunst, den wirklichen Bedürfnissen des Volks entgegen zu kommen, ihnen zu dieuen uud sie dadurch zu idealiflrcn. Eine Kunst, die ein ideales, in der Lust schwebendes Pnblicum voraussetzt, kann es höchstens zu einer Treibhansblüthe bringen, sie bleibt unfruchtbar für die Entwickelung des allgemeinen Geistes. Der Künstler bedarf, wie der Ringer der alten Sag.e, eines festen Bodens, von dem seine Kräfte unaufhörlich neue Stärkung empfangen.

Die gleiche Ansicht hat unerwarteter Weise später Richard Wagner in einem offnen Briefe an Liszt ausgesprochen. Er hett das ius Unermeßliche gehende Streben seines Freundes ans einen individuellen Zweck beschränkt. Er hat es ganz richtig nachgewiesen, daß von einer angemessenen Belohnung der Kunst erst in zweiter Reihe die Rede sein könne, daß für den Künstler die Hauptsache sei. überhaupt nur die Möglichkeit zu haben, ein klares uud deutliches Bild seiner Intentionen dem öffentlichen Urtheil vorzuführen. Die bildende Kunst sei darin besser gestellt als die Musik, denn sie könne sich ihr Material leicht verschaffen, der. Musiker dagegen, und namentlich derjenige, der iu der dramatischen Kunst die höchste Stufe zu erreichen strebte, sei von der Gnnst der bestehenden Kunst­institute abhängig, und bei den ganz zufälligen Einflüssen, die sich in denselben geltend machen, sei es gar nicht unmöglich, daß er gar nicht in die'Lage käme, ans ein Urtheil des Pnblicums recurriren zn können.

Das ist vollkommen richtig. Die kleinen Theater reichen mit ihren Mitteln gewöhnlich nicht aus, und bei den großen ist der Einfluß virtuoser Sänger maß­gebend, die nicht gern in einer Rolle auftreten, welche nicht ihrem individuellen Talent Gelegenheit zur glänzendsten Entfaltung giebt. Es ist z. B. eine höchst auffallende Erscheinung, daß Schumann's Genoveva nur in Leipzig und auch da nur kurze Zeit zur Aufführung gekommen ist. Wir glauben nicht, daß die Principien, welche den Componistcn in dieser Oper geleitet haben, die richtigen sind, aber man hätte doch erwarten sollen, daß bei einem in der gestimmten künstlerischen Welt sv gefeierten Manne, wie es Robert Schnmann jetzt ist, alle Welt daraus hätte begierig sein müssen, sich wenigstens eine Vorstellung von sei-

Grcuzbotcn. III. , 13