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gefühl der äußerlichen Macht zum Uebermaß geführt wird, uur iu ihren oberflächlichen Erscheinungen verfolgt, sie wol gar mit historischem Pragmatismus zersetzt, so kommt ein Recheuexcmpel des Verstandes, aber nicht eine freie Poesie, die sich des allgemeinen Gefühls bemÄchtigt, dabei heraus, und die großen geschichtlichen Gegensätze verkümmern in psychologischer Kleinkrämerei. An diesem Mangel an Jntensivität in der Leidenschaft gehen alle unsre Hohenstanfenstücke zu Grunde. Freilich würde ein Dichter, der noch selber in den Gegensätzen befangen, der uoch selber ciu Fanatiker für das eine oder das andere der beiden Principien ist, noch weniger geeignet sei», dem Stoff seine objective Gestalt zn geben, aber durchgemacht muß er das Gefühl haben, wenn er es durch Darstellung überwinden will. Unsre skeptische Vermittluugssucht bringt keine historische Größe zu Stande.
Noch verwirrter sind die historischen Motive in dem „Trauerspiel in Tyrol", welches in demselben Jahre, 1828, erschien. Vielleicht angeregt durch das Beispiel des Teil, hat Jmmermann eine große Menge localer Schilderungen zusammengehäuft, tyroler Volkslieder u. s. w., uud die verschiedenartigsten Charaktere in dem Kampf gegen die französische Unterdrückung vereinigt; aber seine zersetzende Reflexion verdirbt ihm das Spiel. Ganz abgesehen von den theatralischen Ungeschicklichkeiten, deren dieses Stück seiner historischen Ausbreitung wegen eine übertriebene Masse enthält, schlt ihm das Auge für die objectiven Verhältnisse. Er hat über die tiefere Bedeutung des Kampfs zwischen dem gebildeten Kaiserreiche und der naturwüchsigen Vvltskraft vielfach nachgedacht, und verfällt nun in den Fehler, dem selten einer nnsrer modernen historischen Dichter entgeht, dieses Nachdenken aus seiner eigenen Seele in die Seele der handelnden Person zu verlegen. Er läßt den französischen General über den großen Sinn des Kampfes reflcctiren, wie ein deutscher Philosoph, und er läßt den schlichten tyroler Baner mit ähnlichen Reflexionen antworten. Dieser Zersetzungsproceß hebt nicht nur den gesunden Organismus der Charaktere auf, deren Gegensatz wenigstens ein sehr poetischer genannt werden muß, weuu wir auch an seiner dramatischen Berechtigung zweifeln, sondern er verwirrt anch das Gefühl des Publicums. Das deutsche Volk hat gegen die übermüthigen, frechen französischen Eroberer ein sehr gesundes und gerechtes Gefühl des Hasses gehegt, und wenn' das Volk in seinem richtigen Jnstinct sie todtschlug wie tolle Hunde, so war das ganz in der Ordnung. Wenn uns der Dichter die Eroberer von dieser Seite gezeigt hätte, ungefähr wie Kleist in seiner „Hermannsschlacht", so konnte er sie im Einzelnen so liebenswürdig und geistreich schildern, wie er Lnsi hatte, unser Gefühl hätte er dadurch nicht verwirrt. So aber sehen wir ein verwickeltes Rai- sonnement auf beiden Seiten, über das wir erst tiefer nachdenken müssen, um zu einem reifen Urtheile, zu einem klaren und sichern Gefühle zu kommen. Dadurch schleicht sich ein durchaus nicht beabsichtigter ironischer Zug in die Handlung ein.