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Charakter dieser Frau keine Spur. — Ein weiteres Verdienst des Dichters, welches man nicht zu niedrig anschlagen mnß, ist, daß er es versteht,^ die Neugierde rege zu erhalten. Es würde ihm das in noch höherem Maße gelingen, wenn er nicht in seiner Erzählung zuweilen zu hastig und zu unruhig würde und uns über manche Punkte, über die wir Aufklärung wünschten, im Dunkeln ließe, nnd wenn er ferner in die Reihe seiner mißgeschaffenen Wesen wenigstens, einige einführte, auf denen unser Ange mit Freude nnd Wohlwollen verweilen könnte. Das ist bis jetzt viel zu wenig der Fall. Die guten Charaktere sind viel zu leicht skizzirt, die schlechten in Verhältniß mit viel zu großer Breite ausgeführt. — Mit dem Endurtheil müssen wir natürlich noch zurückhalten, da die Acten nicht geschlossen sind; wir wünschen aber, daß bei der Fortsetzung der Dichter die litera rischeu Gespräche etwas einschränken mochte, die doch in dieser Form zu keinem bedeutenden Ergebniß führen.
Gin Blick auf die Neuesten Zustands in der Türkei.
Von einem Serben.
Die schöuen Zeiten, wo noch der Turban oder das Feß den Türken machte, sind für immer vorbei, seitdem die serbische und griechische Revolution gezeigt, daß jene Kopfbedeckung vor dem Eindringen revolutivnairer Gedanken nicht schütze. Gleichzeitig fing man an, die Racenverschiedenheit der Bewohner der Türkei anzuerkennen, wobei es sich fand, daß die Türken, d. h. Mohammedaner osmani- scher Abkunft, nur den allerkleinsten, Griechen und Slaven aber den allergrößten Theil, der Unterthanen der hohen Pforte bilden. Diese Entdeckung verursachte den stambuler Machthabern keine großen Sorgen; sie redeten sich mit fatalistischer Zuversicht ein, daß das Türkenthum durch seine religiöse Einheit und kriegerische Disciplin allen jenen > Elementen überlegen sei, nnd am Ende den Sieg über dieselben doch behaupten werde. ,
Nur Sultan Mahmud mochte sich in solchen Träumeu nicht wiegen. Die Vernichtung der Mameluken hatte den schlagendsten Beweis geliefert, daß im Türkenthum selbst von keiner Einheit mehr die Rede sei, nnd daß weltliche Leidenschaften das religiöse Band, wenn auch noch-nicht gänzlich zerrissen, so doch bedeutend gelockert haben. Ein halb zerstörter Glaube war keine Basis mehr für einen Staat, und eine andere war nicht leicht zu finden; der religiöse Jndifferen- tismus des Snltans versuchte das Türkenreich aus ein neues, politisches Princip
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