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Jedermann verstanden, trotz seiner phantastischen Ueberschwänglichkeiten. Der Grund liegt zunächst darin, daß er nicht ins Blaue hinein phantasirt, sondern von ganz bestimmten concreten Anschauungen ausgeht. Wenn die Schule das Glück des bedürfnißlosen Vagabondirens, die Heiligkeit der Kunst, die Sinnlichkeit des Volkslebens zu schildern unternahm, so hatte diese poetische Thätigkeit immer Etwas von der Natur des Anempfindens, wie bei Madame Melina in Wilhelm Meister. Hoffmann dagegen war ein tüchtiger Jurist, ein tüchtiger Musiker, ein tüchtiger Zeichner, nnd was das Vagabondiren betrifft, so durste er uicht weit suchen, um die Urbilder seiner Träume und Sympathien zu entdecken. Sein künstlerischer Enthusiasmus, wie seine Fratzenhaftigkeit, war der reinste Naturwuchs. Weil er das, was er darstellen wollte, nicht erst mühsam zu suchen hatte, war er auch im Stande, gut zu erzählen, und die Stimmung, die ihn selber beseelte, deutlich wiederzugeben. So verschroben z. B. die Erfindungen in seinen Teufelselixiren oder in seinen Nachtstücken sind, so ist dabei doch nichts Gemachtes, während bei den Gespenstern, welche die Nomantiker herausbeschworen, unendlich viel Ziererei mit unterläuft, gerade wie bei ihrem Christenthum uud ihren mittelalterlichen Visionen.
Diese Unbefangenheit und Natürlichkeit wurde noch durch einen zweiten Umstand gefordert. Die Nomantiker wurden zu ihren Schöpfungen fast -ausschließlich durch philosophische Speculation angeregt. Ihre Intentionen waren sehr weitgehend, und es kostete einige Mühe, sich hineinzuversetzen. Bei Tieck war das zwar weniger der Fall, uud sein glückliches Naturell bewahrte ihn vor vielen der Verirrungen, in die seine Glanbensbrüder sich einließen, aber ihr Einfluß war doch zu groß, als daß sich nicht auch bei ihm das Spinngewebe der Abstraction fortwährend über die heitersten uud farbenreichsten Bilder breitete. Man vergleiche z. B. die „Herzensergießungen eines kunstliebeuden Klosterbruders" uud „Franz Sternbald" mit den „Phantasiestücken". Von eigentlicher Gestaltung ist in beiden wenig die Nede, aber dort ist Alles Theorie, Dogma und Speculation, hier Alles Empfindung nnd Anschauung. Eben so verhält es sich mit dem Nahmen um Tieck's „Phantasus", wenn man ihn mit den „Serapionsbrüdern" vergleicht. Tieck's Figuren, wenn anch viele Anklänge an wirkliche Persönlichkeiten mit unterlausen mögen, sind eigentlich doch nur dazu da, um gewisse Seiten seiner künstlerischen Ideale zu versiunlichen, in den Serapionsbrüdern dagegen ist Alles Natur und Beobachtung. Hoffmann hat nie speculirt; er hat sich sowol von der herrschenden Schulphilosophie, als von den raffinirten Reflexionen der geistreichen Naturalisten, wie wir sie z. B. im Kreise der Nahel antreffen, ganz entschieden fern gehalten. Seine Gedanken sind daher nie neu und überraschend, und wenn das auch ein Mangel genannt werden muß, so fördert es doch die Reinlichkeit und Harmonie seiner Bilder.
Von seinem Leben führen wir nur diejenigen Züge an, die für seine litera-