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Was die einzelnen Gesetze betrifft, so war die neue Organisation der Pro- vinzialvertretung durch die Abneigung der Minister offenbar am meisten gefährdet. Kein Vorhaben ihrer Vorgänger hatte sie, da sie uoch als mächtige Parteihäupter an der Spitze der renitenten Ritterschaften standen, zu so eifrigen und beharrlichen Angriffen veranlaßt als dieses; keines mußten sie eiliger zu vereiteln suchen, nachdem sie die Macht in Händen hatten. War es doch dieser vermeintliche Eingriff in ihre altverbrieften Rechte eigentlich gewesen, der sie zuerst in die rücksichtsloseste Opposition gegen Krone und Regierung gerissen, und dann nach dem Siege zur eigenhändigen Uebernahme des Ministeriums vermocht hatte! Es war allerdings nicht viel weniger als eine Lebensfrage für sie, da die Umgestaltung der Landschaften ihnen den letzten Nest ihres alten ständischen Einflusses und Uebergewichtes entzogen haben würde, uud daher mag man ihnen die hartnäckige Vertheidigung einer allmählich unhaltbar gewordenen Stellung nicht allzu übel deuten. Aber was die Ritter zn leiden bedroht wnrden, das widerfuhr ihnen als Einzelnen, die es sich immer gefallen lassen müssen, wenn große Verbesserungen im Znstand der Gesammtheit zu ihrem augenblicklichen Nachtheil ausschlagen. Mögen sie es ihrerseits auch angenehm und zeitgemäß erachten, wenn ihr Fuß gleich dem ihrer Väter noch ferner auf den Nacken der Bürger und Baueru ruhen dürfte: Bauern und Bürger sind indessen zn der Einsicht gekommen, daß die hochgeborene Last keineswegs ihr Glück vermehrt, und haben sich ein für allemal sie abzuschütteln entschlossen. Deshalb werden unsre Kammern sich niemals dazu hergeben können, einen Vergleich mit irgend welcher Nachgiebigkeit gegen die junkerlichen Ansprüche einzugehen; und wenn es in Folge dessen aller Wahrscheinlichkeit nach vorläufig beim Alteu bleibt, so werden die Ritter dennoch wohlthun, diesen scheinbaren Erfolg nicht für einen endlichen und dauerhaften Sieg zu halten.
Umgekehrt geht es mit dew Reformen des Gerichtswesens, die sich im Wesentlichen auf Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens beschränken. Man würde sie den vielfordernden Ständen gern als Abschlagszahlung hinwerfen, wenn ihnen damit für eine Zeit lang der Mund gestopft wäre. Aber Stüve wenigstens, der Vater aller Organisationen, besteht darauf, daß sie sämmtlich ungetrennt ins Leben treten. In den Gesetzen über die Verwaltung aber ist Manches, was unter diesen Ministern niemals ausgeführt werden wird. Hier ist es besonders, wo die zweite Seite des neuen Ministeriums, die bureankratische, stark hervortritt. Fast alle unsre höheren und älteren Beamten, die angesehenste Und einflußreichste Klasse der Staatsdienerschast, sind nicht nnr grundsätzlich, sondern auch aus tief gewurzelter persönlicher Abneigung gegen die völlige Trenunng der Justiz vou der Verwaltung, welche das neue Gesetz im Einzelnen vornimmt. Und doch ist dieser Schritt von unsren Nachbarn längst gemacht, und allgemein als eine der unumgänglichsten Forderungen des Zeitgeistes anerkannt! Aber der Widerstand ans dieser Seite ist so stark, wie das Verlangen aus jeuer, und wird mindestens