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den Menschenverstand" von Gutzkow selbst, und ein „Sendschreiben an den Verfasser der Wally" vom Kirchenrach Paulus.
Gutzkow geht in der Vorrede, vielleicht ohne, es zu wissen, von zwei ziemlich entgegengesetzten Gesichtspunkten aus. Einmal kommt es ihm darauf an, den Ton der „Apellation" festzuhalten, und Menzel als einen Verlänmder und falschen Ankläger darzustellen. Nach dieser Version ist Wally nur vom künstlerischen Standpunkt zu betrachten; der Dichter hat ein Seelengemälde darstellen wollen, und zur Psychologischen Erläuterung des Charakters seiner Heldin verschiedene religiöse Reflexionen eingestreut, die nur als Aeußerung einer individuellen Natnr gelten sollen. Er hat also unschuldig gelitten, als man ihn wegen einer Lästerung der Religion auf einige Monate ins Gefängniß steckte.
Auf der andern Seite kommt es ihm aber wieder darauf an, jener Schrift eine tiefere Bedeutung unterzulegen, als die eines bloßen psychologischen Romans. Er gesteht also eiu, daß das psychologische Problem wirklich uicht die Hauptsache gewesen ist. „Ach," ruft er aus, „diese Goliaths, die das kleine Büchlein massa- crirten, hatten vollkommen Recht, wenn sie die romantische Einkleidung des Ganzen für eine Bagatelle erklärten, die für den Autor nur in zweiter Instanz Werth haben konnte, während die polemische Tendenz gegen die Ansprüche des Theologen- und Kircheuthums ihm die Hauptsache war!" — Nach dieser Version hat also das Gericht, wenn es ihn wegen der Lästerungen des bestehenden Theologen- und Kircheuthums verurtheilte, wenigstens in juristischem Sinne Recht gehabt.
Das ist eine sonderbare Verwirrung der Gesichtspunkte, die aber für Gutzkow charakteristisch ist. Nicht nur in seiner Wally, sondern in seinen sämmtlichen poetischen Werken, vom ersten bis zum letzten, ist neben der künstlerischen Tendenz, deren Wesen doch darin besteht, daß sie für die Ewigkeit schaffen will, die journalistische Tendenz gegangen. Bewußt oder unbewußt, hat er Jahr für Jahr auf die herrschenden Stimmungen und Leidenschaften der Menge gelauscht, uud diesen entweder geschmeichelt, oder auch gegen sie polemisirt. Wir wollen dieses Bestreben an sich nicht tadeln. Zwar ist eine künstlerische Vollendung unmöglich, weun der Dichter vou der Tagesstimmung abhängig ist, allein jene andere Seite des Schaffens hat auch ihre vollkommene Berechtigung, und wer sür diese kritische Thätigkeit die halb oder gauz poetische Form vorzieht, wird darau vollkommen Recht thnn, wenn er nur über seinen Zweck im Klaren ist. Auch Voltaire, Rousseau u. s. w. haben zum Theil ihre Polemik gegen die herrschenden Ansichten in novellistische Form gekleidet. Aber diese Männer handelten im vollem Glauben, in einer energischen Begeisterung sür ihre Idee, die darum nicht weniger intensiv war, weil sie die Form des Hasses, des Spottes und des Hohnes annahm. Sie haben sich durch Bastilleu, durch Verfolgungen, Verbannungen, Confiscationen ihrer Bücher u. s. w. nicht einschüchtern lassen. Es war im 18. Jahrhundert Grenzboteu. I. -,8L2. 28