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ihre Kastenvorrechte, die sie im Taumel des to.llen Jahres schon verloren gegeben hatten. Aber trotz aller dieser Fahnen und Farben bin ich der Meinung, daß die rechte Bildung der Parteien in unsrem Land nicht schon vollzogen, sondern erst noch zu erwarten sei. Zuviel Kräfte sehe ich sich unter der Oberflache regen, die in den gegenwärtigen Formen ihren Ausdruck noch nicht gefunden haben. Was heute den stolzen Namen der Partei führt, ist entweder äußerlich an einander gefügt, oder aus persönlichen Verbindungen entstanden. Parteien aber müssen auö ihren einzelnen Gliedern zusammenwachsen, wie der Wald aus seinen Bäumen. In unsren Staaten, die des mittelalterlichen Wustes noch manchen Winkel voll haben, wird sich die moderne Gliederung der Parteien in den meisten Fällen an die alte Sonderung der Stände anlehnen; obwol jene sich in steigender Entwickelung befinden, diese'in sinkender, und die jüngere Form des Staatslebens die ältere endlich völlig beseitigen wird. Diese natürliche Stellung, welche sich in kleineren Staaten noch entschiedener Heransstellen wird, als in größeren, haben unsre Parteien nicht: deshalb sind sie unfähig, den Gang unsrer politischen Entwickelung dauernd zu tragen. Schon eine mehr streifende als eingehende Musterung wird diesem Urtheil Belege verschaffen.
Vielleicht die bedeutendste Partei im Lande hat sich um Stüvc gesammelt. Das ist nicht zu verwundern, denn in einem halbreifen Staatslcbcu hängt sich der Hause au hervorragende Männer, statt an bestimmte und allgemein gangbare Grundsätze. Stüve aber ist ohne Bedenken der einzige bedeutende Staatsmann, den das gegenwärtige Hannover auszuweisen hat. Wenige seiner Landsleute sind Mitschuldige an der Art, wie er unsren Staat den Ansprüchen des gemeinsamen Vaterlandes gegenüber vertreten hat; die Wenigsten theilen seine unerklärliche Schwärmerei für den Bundestag, von dem er nun selbst nicht mehr behaupten wird, daß er auch die mäßigste seiner Erwartungen befriedigt habe. Allein seine inneren Reformen waren vom Beifall der öffentlichen Meinung durchaus begleitet, und damit er nur die Verwaltung in Händen behielte, sah man ihn trotz seiuer eigensinnigen Sondcrbündclei gern im Amt. Wer ihn unterstützte, das war die gesammte Masse Derjenigen, denen es vor allen Dingen um Nuhe uud Ordnung uud möglichst sanfte Fortschritte zu thun war: Beamte und Bürger, Bauern uud Vornehme bunt durch eiuandcr gemischt. Damals war von Ritterschaften freilich keine Rede, und Niemand dachte der Möglichkeit, daß Stüvc einmal wieder in die Opposition gedrängt werden könne. Aber wie es dem Führer selbst unmöglich gewesen wäre, in diesen Brei conservativer Staatsbürger die unterscheidenden Merkmale einer Partei zu bringen, so erfolgte die wünschcnswcrthe Metamorphose auch da uoch nicht, als die Nittcr auötratcn und sich entschlossen, für sich zn sein. Weder was ging, noch was blieb, war eine Partei zu bilden im Stande. Denn trotz der uneigennützigen Bestrebungen der Provinziallandschaftömitgliedcr hieße es ihnen doch zu viel Ehre anthun, wenn man sie als politische Partei anerkennte. Aber eben so wenig darf man unsren Demokraten, die aus der gegenüberstehenden Masse der Liberalen bis jetzt allein hervorgetreten sind, diese Berechtigung zugestchn. Ein Paar ehrgeizige Advoeaten haben es dahin gebracht, daß in wenigen größeren Städten ein gedankenloser Pöbel ihnen zujauchzt, eiu ungebildetes Kleinbürgerthnm sie in die Kammern sendet: das ist Alles, ist Stoss und Znsammensetzung unsrer Volkspartei, den classischen Ausdruck zu gebrauchen.
Eine ganz andere Mischung und Scheidung scheint mir in dem Wesen unsrer Zustände begründet zu sein, und von den Verwickelungen der Zukunft zu erwarten.