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Es dämmerte noch, als ich am andern Morgen in einem Einspänner, den ein kleiner Savoyard lenkte, zum Thor von Avignon hinausfuhr. Daß mau iu der Provence ist, merkt man bald an den Oelpflanzungen, die sich zu beide« Seite» des Weges iu unübersehbare Fernen erstrecken. Doch war der Anblick der Landschaft kein erfreulicher. Das Laud schmachtete, wie man mir sagte, uuter einer fünfmouatlicheu Dürre. Der trockene, harte Boden war vor Hitze geborsten, das gräulich grüne Laub der Oelbäume, ganz mit weißlichem Staube überzogen, sah nur um so trister ans. Zwischen den Oelbäumen standen häufig Weinstöcke mit blauen Trauben überdeckt, aber mit schlaff häugeuden Blättern: sie dürfen sich nicht, wie in Italien, frei um Bäume schliugen, sondern werden niedrig gehalten, ohne daß der gewöhnliche Wein darum besser wäre. Nächst dem Oelbaum sieht man am häufigsten den Maulbeerbaum, Feigen uud Mandeln mehr einzeln. Von einem hohen Punkt aus gesehen erscheint das Rhonethal wie ein einförmiges, grünes, leicht wogendes Meer, ans dem hier und da Flecken uud Städte sich inselartig erheben, oder einzelne weiße Häuser auftauchen, die manchmal von einer Gruppe schwarzer spitzragender Cypressen eingefaßt sind. Zum ersten Mal seit so langer Zeit war hente die tiefe erbarmungslose Bläue des Himmels von Wolken überzogen, in denen alle Augen mit äußerster Spannung forschten.
In der Nähe von Vaucluse hatte ich mein Cabriolet, voraussahren lassen, uud schlenderte zu Fuß deu Weg eutlaug, als einige Regentropfen zu fallen begannen. Ich befand mich gerade vor einem stattlichen Landhause, das in eiuem wohlgehaltenen Garteu, durch eine mächtige, steilragende Felswand vor dem Mistral (dem kalten Nordwinde) geschützt, hart an der Straße lag. Mein kleiner Vetturin hatte es mir schon von ferne gezeigt, und mir viel von den Herrlichkeiten dieses Besitzthums erzählt. Es sei da ein Orangerie, eine Voliere, eine Fontaine, ein Brunnen mit einer ungeheuren Forelle, eine Muschelgrotte, und ein Zimmer ganz voll von Bildern — Wut musäe: ein Reisender müsse dies nothwendig sehen. Ich war gleichwol nicht neugierig, aber um den Regen abzuwarten, trat ich in die offene Thür des zierlichen Gitters. Der Gärtner wies mich in die berühmte Grotte, wo ich einen alten Herrn in einem leiuwandenen Rocke, die Brille auf der Nase, mit Aus- besseruug schadhast gewordener Verzierungen beschäftigt fand. Meine Bitte wurde freundlich gewährt. Die Grotte war ganz, wie man sie noch mitunter in Deutschland in französisch angelegten Garten aus dem vorige» Jahrhundert findet, über und über mit Mnscheln, Steiuen und Korallen aller Art verkleidet. Die bekannte kleine Bron- zestatnette Napoleon's, die auf eiuem spitzen Steine stand, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Voilü, 1v i-OoKor cw l^. iMöne, sagte der alte Herr, uud erklärte mir die allegorische Bedeutuug der riugsnm befindlicheu Gegenstände: eine röthliche Muschel stellte das Herz Napoleons vor, ein Bergkrystall la «MmcZeur 6<z tz'lou-k, eine blasse Koralle mit hängenden Zweigen le saule plsureur. Ich äußerte meine Bewunderung über diese geistvolle allegorische Erfindung, woraus er ge-