Beitrag 
Eine Rhonefahrt.
Seite
109
Einzelbild herunterladen
 

1«»

kahlen Spitzen, und von Osten her schaut je nach den Windungen des Flusses auf längere oder kürzere Zeit die Kette der Alpen mit ihren Schneegipfeln in die reiche Landschaft herüber. Es kann nicht leicht eine angenehmere Fahrt geben, nnd auch, weuu die Eisenbahn von Lyon nach Avignon, die jetzt unternommen werden soll, vollendet ist, wird Jeder, dem es auf einige Stunden nicht ankommt, das Dampfboot vorziehen.

Pfeilschnell flogen wir den Strom hinab; in wenigen Stunden war Vienne, um Mittag Valence erreicht. Ich wüßte kaum etwas, was den Fortschritt der Cul­tur deutlicher und sichtbarer zeigte, als die Leichtigkeit uud der Comfort, womit mau heutzutage im größten Theil von Europa reist. Wer sich mit der Schnellig­keit des Traums über ungeheure Weiten getragen sieht, bequem und mühelos tausend wechselnde Eindrücke empfängt, denkt manchmal mit mitleidigem Behagen an die Mühseligkeiten, die unsre Vorfahren zn bestehen hatten, wenn sie sich ge­lüsten ließen, audrer Männer Städte zn sehen und ihren Sinn zu erkenne». Was war das vor huudert Jahre« für eiu kühnes, gefährliches, kostspieliges Unterneh­men! Unter Smollet's Werken findet sich die Beschreibung einer Reise, die er im Jahre 1763 zur Herstellung seiner Gesundheit über Frankreich nach Italien machte, und die, beiläufig gesagt, zuerst den Ruhm des Klima's von Nizza im Nor­den begründete, Ich entnehme daraus einige für die damalige Art zu reisen charakteristische Notizen. Während man jetzt den Weg von Paris nach Lyon in 20 Stunden zurücklegt, brauchte die Diligeuce damals süuf Tage, während welcher die Reisenden allen möglichen Prüfuugeu ausgesetzt waren. Mitunter wurden sie zu achten in einen viersitzigen Wagen gepackt; nm drei oder vier mußten sie ihr Nachtlager verlassen; die beiden letzten Tage brachten sie auf der Saone zu. Die Rhoueschifffahrt war stromabwärts bei gutem Wetter zwar ohue Gefahr, doch pflegten beim Pont de St. Esprit die Boote bisweilen umzuschlagen: stromauf­wärts wurden sie von Ochsen gezogen. Auch fand Smollet für gut, bei der Abreise von Lyon, wegen einer kürzlich vorgefallener Beraubung, seine Muskete mit acht Kugeln zu laden. Bei Valence vorüberfahrend wurden die Reisenden durch den Anblick des Galgens dieser guten Stadt erfreut, an dein der nackte Körper eines Räubers schwebte, während eiu anderer zerschmettert ans dem Rade lag. Zn diesen und andern Annehmlichkeiten kam noch, daß im ganzen Süden von Frankreich, ausgenommen in großen Städten, die Gasthöfe kalt, sencht, dunkel, unbequem und schmuzig, die Wirthe unhöflich und räuberisch, die Diener tölpel­hast, schlumpig und träge, die Postillone faul, gierig und unverschämt waren. Das einzige Mittel, mit einigem Comfort zu reisen, war, sich ruhig betrügen zu lassen, uud den guten Willen der Leute durch außerordentliche Belohnungen zu erkaufen.

Um sechs Uhr waren wir in Avignon, nnd nachdem ich mich aus den Hän­den einer Menge von schreienden uud gesticulireuden Proveu^alen glücklich befreit,